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Bundesamt für Naturschutz

Biodiversität und Finanzwelt

Biodiversität ist die Grundlage für die Funktionalität von Ökosystemen und die Bereitstellung von Ökosystemleistungen, die für das menschliche Wohlergehen unerlässlich sind. Beispielweise wird über die Erhaltung der biologischen Vielfalt hinaus eine Vielzahl weiterer Funktionen für den Menschen gesichert, u. a. Erholung in naturnahen Landschaften, Klimagasminderung, Bestäubungsleistungen oder Bodenschutz durch ökologischen Landbau. Der Verlust der biologischen Vielfalt und die Verschlechterung des Zustandes der Ökosysteme stellen jedoch wirtschaftliche Risiken dar. Gleichzeitig können wirtschaftliche Aktivitäten negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und die Ökosysteme haben. Daher ist es von Vorteil, „Naturkapital“ in die nationalen Rechnungslegungssysteme einzubeziehen und Unternehmen, einschließlich Finanzinstitute, ihre Abhängigkeiten von der Natur und ihre Auswirkungen auf diese, messen und offenlegen.

Naturkapital im Finanzwesen

Im Zusammenhang mit Biodiversität und Finanzwirtschaft wird häufig der Begriff Naturkapital verwendet, da die biologische Vielfalt und die Ökosysteme aus wirtschaftlicher Sicht wertvolle Vermögenswerte darstellen. Durch die Erhaltung der biologischen Vielfalt und die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile wird sichergestellt, dass die Naturkapitalwerte widerstandsfähig und zukunftssicher bleiben. Der zunehmende Verlust der biologischen Vielfalt beeinträchtigt jedoch die Sicherheit von Investitionen in vielen Sektoren und mindert deren Wert (Dasgupta, 2021).

Die Relevanz der biologischen Vielfalt und ihres Verlustes sowie mögliche Auswege aus der Krise wurden durch die von Partha Dasgupta geleitete Forschungsgruppe im Bericht zur „Ökonomie der Biodiversität“ systematisch herausgearbeitet. In seiner potenziellen Bedeutung verglichen mit dem „Stern-Review“, fordert der „Dasgupta Review“ einen „Marshallplan“. Dieser sollte unter anderem Effizienzsteigerungen bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen sowie höhere Investitionen für den Erhalt und die Regeneration natürlicher Systeme umfassen. Daneben fordert er unter anderem, dass Regierungen „Naturkapital“ in die nationalen Rechnungslegungssysteme einbeziehen und Unternehmen, einschließlich Finanzinstitute, ihre Abhängigkeiten von der Natur und ihre Auswirkungen auf diese messen und offenlegen.

Durch fehlgeleitete öffentliche Gelder entstünden weltweit Schäden im Wert von vier bis sechs Billionen US-Dollar pro Jahr, so der Bericht. Für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen dagegen gibt die Menschheit demnach nur zwischen 78 und 143 Milliarden Dollar jährlich aus. Um weitere Verluste an biologischer Vielfalt zu vermeiden, werden jedoch bis 2030 jährlich zwischen 722 und 967 Mrd. USD für die Wiederherstellung und den Schutz der biologischen Vielfalt benötigt (The Nature Conservancy, 2020, Financing Nature: Closing the Global Biodiversity Financing Gap). Diese Mittel von staatlicher Seite alleine sind allerdings begrenzt. Darum adressiert der erste Entwurf für das nächste Globale Biodiversitätsrahmenwerk der CBD explizit auch den Finanzsektor.
 
Darüber hinaus ist mehr als die Hälfte des weltweiten BIP - 44 Billionen US-Dollar - mäßig oder stark von der Natur und ihren Leistungen abhängig und daher den Risiken des Naturverlusts ausgesetzt (Weltwirtschaftsforum, 2020). Gleichzeitig könnte ein naturbasierter Wandel bis 2030 neue Geschäftsmöglichkeiten in Höhe von 10 Billionen US-Dollar und 395 Millionen Arbeitsplätze schaffen (Business for Nature & ICC, 2021). Die starke Abhängigkeit der Weltwirtschaft von der Natur bedeutet, dass der Verlust der Natur - beispielsweise sind 83 % der wildlebenden Säugetiere und 50 % der Pflanzen bereits vom Aussterben bedroht - eine ernsthafte Bedrohung für die Stabilität der Wirtschaft und die finanzielle Stabilität darstellt. 

Sustainable Finance und das Umweltziel Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme

Sustainable Finance beinhaltet den Einbezug von Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsaspekten in Investitionsentscheidungen von Finanzakteuren mit dem Ziel einer nachhaltigen Transformation der Wirtschaft resultierend in längerfristigen, insbesondere privaten, Investitionen in nachhaltige wirtschaftliche Aktivitäten und Projekte. Im Juni 2020 hat daher das Europäische Parlament die Verordnung 2020/852 („Taxonomie-Verordnung“) zum nachhaltigen Finanzwesen angenommen. Diese Verordnung ist die erste "grüne Liste" für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten, welche ein gemeinsames Klassifizierungssystem mit einheitlichen Begrifflichkeiten definiert, welches durch internationale und nationale Anleger*innen verwendet werden kann, wenn diese bspw. in Projekte und Wirtschaftstätigkeiten investieren wollen, die mit erheblichen positiven Auswirkungen bzw. nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen eines oder mehrerer Umweltziele (u. a. Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme, siehe unten) verbunden sind. Als zentraler Rechtsakt leistet die Taxonomie-Verordnung daher sowohl einen wesentlichen Beitrag zur Umsetzung des EU Green Deals als auch zur Umsetzung der EU-Biodiversitätsstrategie. 

Doppelte Wesentlichkeit: Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten auf das Naturkapital und vice versa

Wirtschaftliche Aktivitäten können negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und die Ökosysteme haben. So kann bspw. die Produktion von Fleisch die Abholzung von Wäldern verstärken oder der Einsatz von Chemikalien bei der Produktion von Obst und Gemüse den Boden schädigen. Boden- oder Landdegradation und Entwaldung sind zwei der bedeutendsten Faktoren für den Verlust der Biodiversität, die vor allem durch die Sektoren Landwirtschaft, Bergbau und die Erweiterung von Städten und anderen menschlichen Siedlungsaktivitäten inklusive von Infrastruktur aller Art hervorgerufen werden.   

Der Verlust der biologischen Vielfalt und die Verschlechterung des Zustandes der Ökosysteme stellen wiederum wirtschaftliche Risiken dar. Der Verlust der biologischen Vielfalt kann sich bspw. durch ein erhöhtes Risiko schwerer Dürren, das Verschwinden von Bestäubern oder den Einbruch von Fischerei- oder landwirtschaftlichen Erträgen negativ auf einzelne Sektoren auswirken. Die Landwirtschaft, die Lebensmittel- und Getränkeindustrie sowie das Baugewerbe sind von diesen Entwicklungen besonders betroffen. Andere Sektoren hingegen sind über ihre Lieferkette von der Natur abhängig.

Wirtschaftliche Aktivitäten sind somit Verursacher der Krise und gleichzeitig sind sie aber auch vom Zustand der Natur und ihrer Leistungen abhängig. Die Zerstörung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme kann die Lieferkette und somit den Betrieb von Unternehmen gefährden. Laut des Weltwirtschaftsforum (2019) sind Unterbrechungen bei der Produktion und Verteilung von Waren und Dienstleistungen aufgrund von Naturrisiken um ein Drittel gestiegen. Nach Schätzungen des TEEB-Programms verliert die Wirtschaft landbasierte Ökosystemleistungen im Wert von rund 50 Mrd. USD pro Jahr.

Der jährliche Wert der globalen Ökosystemleistungen wird auf 125 Billionen US-Dollar geschätzt, darunter Trinkwasser, Frischluft, Wärmeabsorption, Wälder, Ozeane, Nahrungsmittel und Bestäubung (WWF: Nature is too big to fail). Der Schutz von Biodiversität ist existenziell, weil selbst der moderne Mensch von der Stabilität und Leistungsfähigkeit vieler Ökosysteme abhängt. 
Das Weltwirtschaftsforum prognostiziert, dass die biologische Vielfalt im nächsten Jahrzehnt nach dem Klimawandel die zweitgrößten Auswirkungen auf die Unternehmen haben wird (Global Risk Report 2022).

Taxonomie und Biodiversität – die Lösung?

Die EU-Taxonomie für nachhaltige Aktivitäten ist das Kernelement der EU-Agenda für nachhaltige Finanzen. Es handelt sich um einen Katalog von Wirtschaftstätigkeiten, die (i) einen wesentlichen Beitrag zu sechs Umweltzielen leisten, (ii) die anderen fünf Ziele nicht nennenswert beeinträchtigen und (iii) minimale und ausdrücklich aufgeführte soziale Schutzmaßnahmen erfüllen. Sie enthält auch technische Screening-Kriterien für Übergangsaktivitäten (wie z. B. Schwellenwerte für die Treibhausgasintensität bei der Herstellung von Zement, Eisen und Stahl). Da die EU-Taxonomie mit Offenlegungsvorschriften verknüpft ist, die Unternehmen zur Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen verpflichten, wird erwartet und beabsichtigt, dass sie die Transparenz für Investoren massiv erhöht. 

Die EU-Taxonomie soll nur Wirtschaftstätigkeiten erfassen, von denen angenommen wird, dass sie einen "wesentlichen Beitrag" zur Erfüllung des Umweltziels 6 leisten können, und die "auf verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen" (EU-Taxonomieverordnung, Absatz 40). Der offizielle Entwurf des Kriterienkatalogs, der von der EU-Plattform für nachhaltige Finanzen im März 2022 vorgeschlagen wurde, bezieht sich auf acht Wirtschaftszweige, darunter die Tierproduktion, die pflanzliche Erzeugung, die Fischerei und die Herstellung von Lebensmitteln und Getränken. Darüber hinaus wird in dem Bericht vom März auf laufende Arbeiten zu relevanten Wirtschaftszweigen, wie Forstwirtschaft und Bioenergie (und deren technische Prüfkriterien in Bezug auf biologische Vielfalt und Ökosysteme) sowie auf unterstützende Maßnahmen hingewiesen. Bei anderen Wirtschaftstätigkeiten wurde die Entwicklung verschoben, da die Nachweise fehlen oder der Ansatz zur Erbringung eines wesentlichen Beitrags noch nicht klar spezifiziert ist (z. B. Bergbau an Land). 

Die Ausführungen beruhen auf den Vorhaben „Wissensplattform Nachhaltige Finanzwirtschaft“ (FKZ 3718141040, UBA, durchgeführt vom VfU) sowie „Sustainable Finance und Biodiversität“ (FKZ 3520810300, BfN, durchgeführt von Frankfurt School of Finance, WWF und Climate & Company)

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