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Bundesamt für Naturschutz

Besonderer Artenschutz bei Eingriffen

Auch bei Eingriffsvorhaben sind die Vorschriften des besonderen Artenschutzes zu berücksichtigen, wobei nach § 44 Abs. 5 BNatSchG für zulässige Eingriffe spezielle Regelungen bestehen.

Der besondere Artenschutz hat im Rahmen von Eingriffsplanungen und Projektgenehmigungen sowie in der Rechtsprechung in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen. So gelten die artenschutzrechtlichen Verbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG nun auch für Eingriffsvorhaben. Dies erfordert im Rahmen der Erstellung der Unterlagen entsprechende fachliche Ermittlungs-, Prognose- und Bewertungsansätze.

Das Tötungsverbot, das Störungsverbot sowie das Verbot der Beschädigung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten geschützter Tierarten bzw. von Standorten geschützter Pflanzenarten sind dabei im Zusammenhang mit den typischen Wirkfaktoren von Eingriffsplanungen zu interpretieren. Dies umfasst u. a. Fragen zur Definition, Ermittlung und Abgrenzung von „lokalen Populationen“ und „Fortpflanzungs- bzw. Ruhestätten“ ebenso wie zur Prognose einer „signifikant erhöhten Mortalität“, einer „erheblichen Störung“ oder einer verbotsgegenständlichen „Beschädigung“ geschützter Stätten.

Eine zentrale Regelung für die Umsetzung der artenschutzrechtlichen Anforderungen bei Eingriffen stellt zudem § 44 Abs. 5 BNatSchG dar, wonach für zulässige Eingriffe das prüfgegenständliche Artenspektrum auf die Arten des Anhangs IV der FFH-Richtlinie sowie auf die europäischen Vogelarten eingeschränkt wird. Zudem liegt danach ein Verstoß gegen das o. g. artenschutzrechtliche Beschädigungsverbot nicht vor, soweit die ökologische Funktion der von dem Eingriff oder Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätten – ggf. unter Hinzuziehung vorgezogener Ausgleichsmaßnahmen – im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird. Auch zur rechtskonformen Anwendung dieser Regelung sind verschiedene funktionale, räumliche und zeitliche Anforderungen zu berücksichtigen, nicht zuletzt, um die geforderte hohe Prognosesicherheit in den Prüfungen gewährleisten zu können.

Bei den Regelungen von zulässigen Ausnahmen nach § 45 Abs. 7 BNatSchG ergeben sich bei Eingriffsplanungen insbesondere Fragen hinsichtlich etwaiger „zwingender Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“, hinsichtlich der fachlichen Bewertung der Beeinträchtigungsschwere von z. B. Standort-, Trassen- oder Ausführungsalternativen und nicht zuletzt dahingehend, ob sich bei Durchführung des Eingriffes der Erhaltungszustand der Populationen der betroffenen Arten verschlechtert.

Differenzierte Ausführungen zur Berücksichtigung des Artenschutzes bei Eingriffsvorhaben und insbesondere zum neuen Typ der vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen finden sich im Endbericht des F+E-Vorhabens Rahmenbedingungen für die Wirksamkeit von Maßnahmen des Artenschutzes bei Infrastrukturvorhaben (Runge et al., 2010).

Weiterführende Downloads

Tötungsverbot im Zusammenhang mit Eingriffen

Das Tötungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit Abs. 5 BNatSchG ist bei Eingriffen z. B. von Bedeutung im Hinblick auf „anlagebedingte Mortalität“ von Vögeln an Windenergieanlagen, Freileitungen, Masten, Schrägseilbrücken oder Glasscheiben. Auch bei Fledermäusen sind inzwischen bei etlichen Arten höhere Totfundraten an Windenergieanlagen nachgewiesen worden. Bei Amphibien, Reptilien, Kleinsäugern, Laufkäfern oder anderen bodengebundenen Arten stellen häufig Konstruktionen mit Fallenwirkung wie z. B. Kanäle, Gruben, Schächte etc. ein nicht zu vernachlässigendes Tötungsrisiko dar.

Am weitestgehenden untersucht ist vermutlich die „betriebsbedingte Mortalität“ in Form von Tierkollisionen mit Autos, Zügen oder Flugzeugen. Insbesondere die hohen Todesraten von Amphibien an Straßen können ohne geeignete Vermeidungsmaßnahmen (wie z. B. Amphibienleitsystemen) schnell zu schwerwiegenden Bestandsrückgängen oder zum Erlöschen lokaler Populationen führen. Aber auch bei vielen Vogelarten oder Säugetieren sind z. T. hohe Totfundraten an Straßen, zum Teil auch an Schienenwegen dokumentiert. Zur betriebsbedingten Mortalität in Gewässern zählt z. B. die Tötung von Jungfischstadien, Larven und Eiern im Zuge des Einsaugens bei der Kühlwasserentnahme oder die unbeabsichtigte Tötung wandernder Fischarten in den Turbinen von Flusskraftwerken. 

Eine „baubedingte Mortalität“ kann beispielsweise durch Baugruben mit Absaugpumpen für die Entwässerung, durch Baustellenverkehr in Amphibienlebensräumen oder durch störungsbedingte Brutausfälle entstehen. 

In der Auslegung dieses Verbotstatbestandes hat die aktuelle Rechtsprechung deutlich gemacht, dass es hier bei unvermeidbaren Tötungen, z. B. im Rahmen von Verkehrsinfrastrukturprojekten, um die Frage geht, ob es sich für eine Art in einem konkreten Fall um eine „signifikant erhöhte Mortalität“ handelt (BVerwG 9A 3.06: Rn. 219f.).

Aufgabe der Rechtsnormen­interpretation und -umsetzung ist es daher v. a., naturschutzfachlich relevante Mortalitätsrisiken von weniger bedeutsamen bzw. planerisch vernachlässigbaren Individuenverlusten zu unterscheiden. 

Bei der Prognose und Bewertung der Mortalität zu berücksichtigen sind u. a.:

  • artspezifische Empfindlichkeiten (z. B. allgemeine Mortalitätsgefährdung, vorhabentypspezifisches Kollisionsrisiko etc.),
  • projektspezifische Komponenten (z. B. Kfz-Intensitäten, Anlagenhöhen etc.),
  • räumliche Parameter (z. B. Abstände der Vorhaben, Raumnutzungsmuster der Arten etc.). 

Bei der Bewertung der Mortalität zu berücksichtigen sind u. a.:

  • populationsbiologische Parameter (z.B. natürliche Reproduktionsrate bzw. Mortalitätsrate, artspezifisches Lebensalter der Individuen, Bestandsgrößen etc.),
  • naturschutzfachliche Parameter (z. B. Gefährdung, Seltenheit, Erhaltungszustand, nationale Verantwortlichkeit).

Hinweise zu übergeordneten Kriterien zur Bewertung der Mortalität wildlebender Tiere im Rahmen von Projekten und Eingriffen geben Bernotat & Dierschke (2021). In einem sog. Mortalitäts-Gefährdungs-Index werden bereits seit 2012 Arten auf Grundlage einer Vielzahl an populationsbiologischen sowie naturschutzfachlichen Parametern hinsichtlich ihrer Gefährdung gegenüber anthropogener Mortalität eingestuft.

Die nun veröffentlichte 4. Fassung umfasst eine Aktualisierung der Datengrundlagen und eine modulare Weiterentwicklung der MGI-Methodik.

Der Teil I „Grundlagen“ beinhaltet nun die rechtlichen, fachlichen und planungsmethodischen Grundlagen der MGI-Methodik und ihrer Anwendung in verschiedenen Kontexten.

Im Teil II werden acht eigenständige anwendungsbezogene Arbeitshilfen zu Vorhabentypen und Artengruppen im Sinne von Praxisleitfäden veröffentlicht.

Der Teil III „Anhänge“ umfasst insbesondere die wissenschaftlichen Daten und Grundlagen für die Ableitung des Populationsbiologischen Sensitivitäts-Indexes (PSI), des Naturschutzfachlichen Wert-Indexes (NWI) und des daraus resultierenden Mortalitäts-Gefährdungs-Indexes (MGI) für die einzelnen Arten der verschiedenen Tierartengruppen.

Der Mortalitäts-Gefährdungs-Index (MGI) des Bundesamtes für Naturschutz stellt eine Arbeitshilfe zur Bewertung der Mortalität wildlebender Tiere im Rahmen von Projekten und Eingriffen dar (Bernotat & Dierschke 2021a). Der Atlas Deutscher Brutvogelarten (ADEBAR; Gedeon et al. 2014) ist das aktuellste bundesweite Übersichtswerk zur Verbreitung der Brutvögel in Deutschland.
Die Kombination der vorhabentypspezifischen Mortalitätsgefährdung der Vogelarten (vMGI) mit den ADEBAR-Daten der Verbreitung der besonders kollisionsgefährdeten Brutvogelarten stellt das bundesweite Gefährdungspotenzial für Brutvogelarten durch Kollision an Freileitungen bzw. Stromtod an Mittelspannungsleitungen in Sensitivitätskarten kartographisch dar. Der Bericht enthält die Erläuterung über das methodische Vorgehen bei der Erstellung der beiden Sensitivitätskarten.

Bericht zur Erstellung von Sensitivitätskarten zur Abschätzung des räumlichen Potenzials der Mortalitätsgefährdung basierend auf den ADEBAR-Daten und den vMGI-Einstufungen der Vogelarten.

weiterführender Inhalt

Gefährdungspotenzialkarten

GIS-Daten auf Anfrage

Sachgebiet Geoinformation
Bundesamt für Naturschutz

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Ausgewählte Publikationen

Störungsverbot im Zusammenhang mit Eingriffen

Das Störungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG ist bei Eingriffen insbesondere im Hinblick auf akustische Reizauslöser (Schall), optische Reizauslöser (Bewegung, Reflektionen, Kulissenwirkung), Licht, Erschütterungen und Zerschneidungswirkungen relevant. Diese Wirkfaktoren führen – häufig kumulativ – zu Störwirkungen z. B. im Rahmen von Verkehrsinfrastrukturvorhaben oder aber über verschiedene Formen von Bau- und Betriebsprozessen. 
Im Zusammenhang mit Eingriffen sind dabei häufig Säugetierarten und Vögel besonders planungsrelevant, da bei ihnen gegenüber vielen Wirkfaktoren z. T. hohe Störungsempfindlichkeiten bestehen.

Störung

"Eine Störung kann grundsätzlich durch Beunruhigungen und Scheuchwirkungen z. B. infolge von Bewegung, Lärm oder Licht eintreten. Unter das Verbot fallen auch Stö­rungen, die durch Zerschneidungs- oder optische Wirkungen hervorgerufen werden, z. B. durch die Silhouettenwirkung von Straßendämmen oder Gebäuden. Werden Tiere an ihren Fortpflanzungs- und Ruhestätten gestört, kann dies zur Folge haben, dass diese Stätten für sie nicht mehr nutzbar sind. Insofern ergeben sich zwischen dem "Störungstatbestand" und dem Tatbestand der "Beschädigung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten" zwangsläufig Überschneidungen. Bei der Störung von Individuen an ihren Fortpflanzungs- und Ruhestätten ist dann von der Beschädigung einer solchen Stätte auszugehen, wenn die Auswirkungen auch nach Wegfall der Störung (z. B. Auf­gabe der Quartiertradition einer Fledermaus-Wochenstube) bzw. betriebsbedingt an­dauern (z. B. Geräuschimmissionen an Straßen) (LANA 2009:5)".

Lokale Population

"Eine lokale Population im Zusammenhang mit dem Störungsverbot lässt sich in Anlehnung an § 7 Abs. 2 Nr. 6 BNatSchG als Gruppe von Individuen einer Art definie­ren, die eine Fortpflanzungs- oder Überdauerungsgemeinschaft bilden und einen zu­sammenhängenden Lebensraum gemeinsam bewohnen. Im Allgemeinen sind Fort­pflanzungsinteraktionen oder andere Verhaltensbeziehungen zwischen diesen Indivi­duen häufiger als zwischen ihnen und Mitgliedern anderer lokaler Populationen der­selben Art.

Eine populationsbiologische oder -genetische Abgrenzung von lokalen Populationen ist in der Praxis aber nur ausnahmsweise möglich. Daher sind pragmatische Krite­rien erforderlich, die geeignet sind, lokale Populationen als lokale Bestände in einem störungsrelevanten Zusammenhang zu definieren. Je nach Verteilungsmuster, Sozial­struktur, individuellem Raumanspruch und Mobilität der Arten lassen sich zwei ver­schiedene Typen von lokalen Populationen unterscheiden: 

  1. Lokale Population im Sinne eines gut abgrenzbaren örtlichen Vorkommens. 
    Bei Arten mit einer punktuellen oder zerstreuten Verbreitung oder solchen mit lokalen Dichtezentren sollte sich die Abgrenzung an eher kleinräumigen Landschaftseinheiten orientieren (z. B. Waldgebiete, Grünlandkomplexe, Bachläufe) oder auch auf klar abgrenzte Schutzgebiete beziehen. 
  2. Lokale Population im Sinne einer flächigen Verbreitung. 
    Bei Arten mit einer flächigen Verbreitung sowie bei revierbildenden Arten mit großen Aktionsräumen kann die lokale Population auf den Bereich einer naturräumlichen Landschaftseinheit bezogen werden. Wo dies nicht möglich ist, können planerische Grenzen (Kreise oder Gemeinden) zugrunde gelegt werden (LANA 2009:6)."

Erheblichkeit der Störung / Verschlechterung des Erhaltungszustands

"Eine Verschlechterung des Erhaltungszustandes ist immer dann anzunehmen, wenn sich als Folge der Störung die Größe oder der Fortpflanzungserfolg der lokalen Population signifikant und nachhaltig verringert. Bei häufigen und weit verbreiteten Ar­ten führen kleinräumige Störungen einzelner Individuen im Regelfall nicht zu einem Verstoß gegen das Störungsverbot. Störungen an den Populationszentren können aber auch bei häufigeren Arten zur Überwindung der Erheblichkeitsschwelle führen. Demgegenüber kann bei landesweit seltenen Arten mit geringen Populationsgrößen eine signifikante Verschlechterung bereits dann vorliegen, wenn die Fortpflanzungsfä­higkeit, der Bruterfolg oder die Überlebenschancen einzelner Individuen beeinträchtigt oder gefährdet werden (LANA 2009:6)".

Beschädigungsverbot im Zusammenhang mit Eingriffen

Fortpflanzungsstätten

Als Fortpflanzungsstätte geschützt sind alle Orte im Gesamtlebensraum eines Tieres, die im Verlauf des Fortpflanzungs­geschehens benötigt werden. Als Fortpflanzungsstätten gelten z. B. Balzplätze, Paarungsgebiete, Neststandorte, Brutplätze oder -kolonien, Wurfbaue oder -plätze, Eiablage-, Verpuppungs- und Schlupfplätze oder Areale, die von den Larven oder Jungen genutzt werden (vgl. Runge et al. 2010:9).

Ruhestätten

Ruhestätten umfassen alle Orte, die ein Tier regelmäßig zum Ruhen oder Schlafen aufsucht oder an die es sich zu Zeiten längerer Inaktivität zurückzieht. Als Ruhestätten gelten z. B. Schlaf-, Mauser- und Rastplätze, Sonnplätze, Schlafbaue oder -nester, Verstecke und Schutzbauten sowie Sommer- und Winterquartiere (vgl. Runge et al. 2010:9).

Räumliche Abgrenzung der Stätten

"Bezüglich der räumlichen Abgrenzung einer Fortpflanzungs- und Ruhestätte lassen sich je nach Ökologie und Raumanspruch der Arten verschiedene Fallkonstellationen herleiten (vgl. EU-Kommission 2007:55)". 
 

  1. "Bei Arten mit vergleichsweise kleinen Aktionsradien sowie bei Arten mit sich überschneidenden Fortpflanzungs- und Ruhestätten, die eine ökologisch-funktionale Einheit darstellen, ist häufig eine umfassende Definition geboten: In diesen Fällen ist bei der räumlichen Abgrenzung einer Stätte das weitere Umfeld mit einzubeziehen und ökologisch-funktionale Einheiten zu bilden. Die weite Auslegung hat zur Folge, dass nicht mehr der einzelne Eiablage-, Verpuppungs- oder Versteckplatz etc. als zu schützende Fortpflanzungs- oder Ruhestätten zu betrachten ist, sondern ein größeres Areal bis hin zum Gesamtlebensraum des Tieres. 
  2. Bei Arten mit eher großen Raumansprüchen ist dagegen meist eine kleinräu­mige Definition angebracht. In diesen Fällen handelt es sich bei den "Fortpflanzungs- und Ruhestätten meist um kleinere, klar abgrenzbare Örtlichkeiten innerhalb des weiträumigen Gesamtlebensraumes (LANA 2009:7f.)".

Beschädigung

Vor dem Hintergrund der gebotenen funktionalen Interpretation des Begriffs der Fort­pflanzungs- und Ruhestätte, wie er insbesondere auch in § 44 Abs. 5 BNatSchG angelegt ist, ist davon auszugehen, dass bei der Beurteilung von Beschädigungen sämtliche Wirkungen zu berücksichtigen sind, welche die Funktionsfähigkeit von Fortpflanzungs- oder Ruhestätten vermindern können. Dies umfasst neben Substanzverletzungen wie bspw. die Teilverfüllung von Laichgewässern auch sonstige funktionsmindernde Einwirkungen z. B. durch Schadstoffeinträge, Grundwasserstandsänderungen, akustische bzw. optische Störreize oder Zerschneidungseffekte. Maßgeblich für das Vorliegen einer Beschädigung ist die Feststellung, dass eine Verminderung des Fortpflanzungserfolgs oder der Ruhemöglichkeiten des betroffenen Individuums oder der betroffenen Individuengruppe wahrscheinlich ist. Diese bedingt, dass auch mittelbare Beeinträchtigungen wie die Zerstörung relevanter Teile essenzieller Nahrungshabitate und die Zerschneidung essenzieller Migrationskorridore oder Flugrouten eingeschlossen sind. Als essenziell werden Nahrungshabitate angesehen, welche für den Fortpflanzungserfolg bzw. für die Fitness der Individuen in der Ruhestätte maßgeblich sind und deren Wegfall dazu führt, dass die Fortpflanzungsfunktionen nicht in gleichem Umfang aufrecht erhalten werden können. Funktionsbeziehungen werden als essentiell angesehen, wenn sie so eng mit der Fortpflanzungs- oder Ruhefunktion verknüpft sind, dass diese ohne sie nicht aufrecht erhalten bleibt (vgl. z.B. auch Runge et al. 2010:13 oder LANA 2009:7ff.)

Regelung des § 44 Abs. 5 BNatSchG für Eingriffe und vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen (CEF-Maßnahmen)

Für zulässige Eingriffe bestehen zudem Sonderregelungen im Rahmen des § 44 Abs. 5 BNatSchG, wonach ein Verstoß gegen diese Verbote nicht vorliegt, soweit die ökologische Funktion der von dem Eingriff oder Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätten – ggf. unter Hinzuziehung vorgezogener Ausgleichsmaßnahmen – im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird. Auch zur rechtskonformen Anwendung dieser Regelung sind verschiedene funktionale, räumliche und zeitliche Anforderungen zu berücksichtigen, nicht zuletzt, um die geforderte hohe Prognosesicherheit in den Prüfungen gewährleisten zu können.

Das „Guidance document“ der EU-Kommission (2007) sieht die Möglichkeit vor, sogenannte CEF-Maßnahmen (measures that ensure the continued ecological functionality) bei der Beurteilung der Verbotstatbestände der Artikel 12 und 13 FFH-RL zu berücksichtigen. Danach können weitergehende konfliktmindernde und funktionserhaltende Maßnahmen, welche die kontinuierliche Funktionsfähigkeit einer Fortpflanzungs- oder Ruhestätte gewährleisten, dazu beitragen, dass die Verbotstatbestände der Artikel 12 und 13 FFH-RL nicht eintreten und entsprechend keine Befreiung nach Artikel 16 FFH-RL erforderlich ist. 

Maßnahmen, die im Falle von Projekten / Tätigkeiten mit möglichen Auswirkungen auf Fortpflanzungs- und Ruhestätten zur Sicherung der kontinuierlichen ökologischen Funktionalität dieser Stätten dienen, müssen den Charakter von schadensbegrenzenden Maßnahmen haben (d. h. auf eine Minimierung, wenn nicht gar die Beseitigung der negativen Auswirkungen abzielen). Sie können aber auch Maßnahmen einbeziehen, die aktiv zur Verbesserung oder Erweiterung einer bestimmten Fortpflanzungs- oder Ruhestätte beitragen, so dass es zu keinem Zeitpunkt zu einer Reduzierung oder einem Verlust der ökologischen Funktionalität dieser Stätte kommt. Solange diese Bedingung erfüllt ist und die entsprechenden Vorgänge von den zuständigen Behörden kontrolliert und überwacht werden, braucht nicht auf Artikel 16 zurückgegriffen werden" (EU-Kommission 2007:55).

Allgemeine Anforderungen an vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen (Runge et al. 2010:82ff.)

Vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen lassen sich definieren als Maßnahmen, die unmittelbar an der voraussichtlich betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätte ansetzen bzw. mit dieser räumlich-funktional verbunden sind und zeitlich so durchgeführt werden, dass sich die ökologische Funktion der von einem Eingriff betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätte nachweisbar oder mit einer hohen, objektiv belegbaren Wahrscheinlichkeit nicht gegenüber dem Voreingriffszustand verschlechtert. 

An vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen sind damit folgende Anforderungen zu stellen:

  • Erhalt der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- oder Ruhestätte, d. h. nach Eingriffsrealisierung muss die Fortpflanzungs- oder Ruhestätte unter Berücksichtigung der „vorgezogenen Ausgleichsmaßnahme“ mindestens die gleiche Ausdehnung und Qualität für die zu schützende Art aufweisen bzw. es darf nicht zur Minderung des Fortpflanzungserfolgs bzw. der Ruhemöglichkeiten des Individuums bzw. der Individuengemeinschaft der betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätten kommen.
  • Lage im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der vom Eingriff betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätte. Maßgeblich hierfür sind die im Einzelfall betroffenen Habitatstrukturen, das Raumnutzungsverhalten der betroffenen Arten und die Entwicklungspotenziale im räumlich-funktionalen Umfeld der betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätte.
  • Vollständige Wirksamkeit der Maßnahmen bereits zum Eingriffszeitpunkt und dauerhaft über den Eingriffszeitpunkt hinaus, so dass die Funktionalität der Stätte kontinuierlich gewährleistet wird. Unter Berücksichtigung der Erforderlichkeit einer ausreichend sicheren Erfolgsprognose sowie unter Praktikabilitätsgesichtspunkten kann im Sinne eines Konventionsvorschlages davon ausgegangen werden, dass die zeitliche Eignung von Maßnahmen bei einer Entwicklungsdauer von bis zu 5 Jahren als sehr gut bis gut und bei einer Entwicklungsdauer zwischen 5 und 10 Jahren als mittel bis gering zu bewerten ist. Maßnahmen mit Entwicklungszeiten von mehr als 10 Jahren sind i. d. R. nicht als vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen geeignet. Sie können aber ggf. ergänzend zur Unterstützung der langfristigen Maßnahmenwirksamkeit eingesetzt werden.
  • Ausreichende Sicherheit, dass die Maßnahmen tatsächlich wirksam sind. Vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen müssen eine große, objektiv belegbare Erfolgsaussicht haben.
  • Festlegung eines hinreichenden Risikomanagements aus Funktionskontrollen und Korrekturmaßnahmen, insbesondere wenn trotz hoher Erfolgsaussichten Zweifel verbleiben.
  • Einbindung in ein fachlich sinnvolles Gesamtkonzept, um möglicherweise auftretende Zielkonflikte zwischen einzelnen Arten bewältigen zu können. Ein geeignetes Instrument für die Bereitstellung entsprechender Zielvorgaben ist insbesondere die Landschaftsplanung.

Für die zusammenfassende Bewertung der Eignung einer Maßnahme als vorgezogene Ausgleichsmaßnahme (CEF-Maßnahme) wurde ein Bewertungsrahmen entwickelt, der die in den Steckbriefen ausgeführten Angaben einerseits zur Entwicklungsdauer bis zur Wirksamkeit (vgl. Tab. 1) und andererseits zur Erfolgswahrscheinlichkeit der jeweiligen Maßnahme berücksichtigt (Tab. 2).

Einschätzung der Eignung von Maßnahmen als „vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen“ (CEF-Maßnahmen) unter dem Aspekt der Entwicklungsdauer (Runge et al. 2010:42)

Entwicklungszeitraum in Jahren Eignung Begründung
0 – 5 (kurz) sehr hoch bis hoch Relativ kurzer Zeitraum der Wiederherstellbarkeit und damit schnelle Überprüfbarkeit der Maßnahme. Kurze Entwicklungszeiträume gehen i. d. R. auch mit einer höheren Prognosesicherheit hinsichtlich des Maßnahmenerfolgs einher.
> 5 – 10 (mittel) mittel bis gering Nur in Ausnahmefällen geeignete Maßnahmen mit zumeist verringerter Prognosesicherheit des Maßnahmenerfolgs.
> 10 (lang) i. d. R. keine I. d. R. unzureichende Prognosesicherheit und mangelnde Praktikabilität einer zeitlich derart weit vorgezogenen Maßnahmenrealisierung gegeben. Eine Ausnahme stellen ergänzende Maßnahmen zur langfristigen Sicherung der ökologischen Funktionen dar.

Unter dem Begriff Erfolgswahrscheinlichkeit werden dabei der Umfang der publizierten Funktionskontrollen, der Anteil positiver Aussagen zur Wirksamkeit der Maßnahme, die Tendenz der Experteneinschätzungen und die allgemeinen Kenntnisse zu den artspezifischen Ansprüchen zusammengefasst.

Bewertungsrahmen der Eignung von Maßnahmen als vorgezogene Ausgleichsmaßnahme (Runge et al. 2010:76)

[1]  Ein hinreichender Wirksamkeitsbeleg ist eine publizierte und ausreichend dokumentierte Funktionskontrolle der jeweiligen Maßnahme mit positivem Ergebnis hinsichtlich der Entwicklung des Bestandes der Zielart. [2]  Unter einer positiven Experteneinschätzung wird die mehrheitliche Übereinkunft anerkannter Fachleute hinsichtlich der Wirksamkeit einer Maßnahme verstanden. Eine einzelne Gutachterposition reicht hierfür nicht.
      Entwicklungsdauer
Erfolgswahrscheinlichkeit 0-5 Jahre kurz > 5-10 Jahre mittel > 5-10 Jahre lang
Sehr hoch: Es liegen mehrere hinreichende Wirksamkeitsbelege [1] vor.  sehr hoch mittel keine
Hoch: Es ist höchstens ein hinreichender Wirksamkeitsbeleg vorhanden, aber positive Experteneinschätzungen auf der Basis umfangreicher Erkenntnisse zu den artspezifischen Ansprüchen liegen vor. hoch mittel keine
Mittel: Im Grundsatz liegen positive Experteneinschätzungen [2] vor. Es sind jedoch Kenntnisdefizite zu den artspezifischen Ansprüchen vorhanden. Wirksamkeitsbelege sind nicht vorhanden oder widersprüchlich. mittel gering keine
Gering: Aufgrund von Kenntnislücken bei den artspezifischen Ansprüchen ist keine sichere Einschätzung möglich. Publizierte Wirksamkeitsbelege wie auch positive Experteneinschätzungen fehlen gänzlich. gering keine keine
Keine: Entweder liegen überwiegend negative Experteneinschätzungen zur Maßnahmenwirksamkeit oder Belege für die Unwirksamkeit der Maßnahme vor keine keine keine

 

Aufgrund der hohen Anforderungen an die grundsätzliche Erfolgswahrscheinlichkeit wie auch an die zeitnahe Wirksamkeit können nur bestimmte Maßnahmen als vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen in Frage kommen.

Alle Maßnahmen mit Entwicklungszeiten von über 10 Jahren werden als für vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen ungeeignet erachtet. Dies schließt jedoch nicht aus, dass diese Maßnahmen in Kombination mit anderen Maßnahmen oder z. B. als Maßnahmen zur Gewährleistung des Erhaltungszustands der Populationen einer Art im Rahmen von § 45 Abs. 7 BNatSchG noch geeignet sein können.

Als vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen oder Maßnahmenkombinationen kommen insbesondere Maßnahmen in Frage, welche eine sehr hohe oder hohe Eignung aufweisen. 

Maßnahmen sehr hoher Eignung sind zu bevorzugen und bedürfen unter Umständen auch keines Risikomanagements. Da das Vorliegen hinreichender Wirksamkeitsbelege jedoch die Ausnahme darstellt, sind kaum Maßnahmen in diese Kategorie einzustufen.

Maßnahmen hoher Eignung sind bedingt durch das Fehlen mehrfacher hinreichender Wirksamkeitsbelege grundsätzlich durch ein Risikomanagement zu untersetzen.

Maßnahmen mittlerer Eignung können in Einzelfällen in Erwägung gezogen werden, sofern alle fachlichen Anforderungen erfüllt werden können. Hier bestehen erhöhte Anforderungen an das Risikomanagement, d. h. hier sind umfassende Konzepte auszuarbeiten, wie bei unzureichender Maßnahmenwirksamkeit nachgebessert werden kann.

Maßnahmen von geringer oder keiner Eignung sind nicht zu verwenden. Sie werden hier insbesondere zur Unterstreichung der fachlichen Einschätzung ihrer fehlenden Eignung dargestellt.

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Ausnahmeregelung § 45 Abs. 7 BNatSchG für Eingriffe

Bei den Regelungen von zulässigen Ausnahmen nach § 45 Abs. 7 BNatSchG ergeben sich bei Eingriffsplanungen insbesondere Fragen hinsichtlich etwaiger „zwingender Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“, hinsichtlich der fachlichen Bewertung der Beeinträchtigungsschwere von z. B. Standort-, Trassen- oder Ausführungsalternativen und nicht zuletzt im Hinblick auf die Prüfung, ob sich bei Durchführung des Eingriffs der Erhaltungszustand der Populationen der betroffenen Arten nicht verschlechtert.

In diesem Zusammenhang besteht die Möglichkeit, sich bei den Rechtfertigungsgründen und der Alternativenprüfung an den schon weiter entwickelten Auslegungen zum FFH-Gebietsschutz nach § 34 Abs. 3 BNatSchG zu orientieren. 

Um eine Verschlechterung des Erhaltungszustands wie geboten zu verhindern, können nicht zuletzt nach Auffassung der EU-Kommission (2007:69) spezielle kompensatorische Maßnahmen eingesetzt werden, die häufig als „Maßnahmen zur Sicherung des Erhaltungszustands“ oder als FCS-Maßnahmen bezeichnet werden, da sie dazu dienen, einen günstigen Erhaltungszustand (Favourable Conservation Status) zu bewahren. Nähere Ausführungen hierzu finden sich z. B. bei Runge et al. (2010:29ff.) oder im Definitionspapier der LANA (2009:14).

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