Stadtnatur erfassen und bewerten
Flächen mit Stadtnatur einer Kommune sind entweder bereits Teil der grünen Infrastruktur oder müssten noch aufwertet bzw. entwickelt werden, um die entsprechenden ökologischen, sozialen und stadtgestalterischen Qualitäten aufzuweisen und Teil des Freiraumnetzes zu werden. Hierfür muss zunächst entschieden werden, welche Flächen relevant sind und zum stadtweiten Grüngerüst gehören. Um die grüne Infrastruktur langfristig weiterzuentwickeln, müssen zudem Potenzialflächen ermittelt werden. Relevante digitale Datengrundlagen können aus unterschiedlichen bei den Kommunen vorhandenen Quellen zusammengestellt werden. Alternativ müssen sie neu erfasst und bewertet werden. Über partizipative Ansätze sollte auch das Erfahrungswissen der Bevölkerung einbezogen werden. Ökosystemleistungen können helfen, den Wert der Stadtnatur abzubilden und verständlich zu kommunizieren. Kenn- und Orientierungswerte können genutzt werden, um verbindliche kommunale Zielvorgaben zu beschließen. Für die Steuerung der Entwicklung der grünen Infrastruktur sind digitale Informationssysteme ein wichtiges Instrument.
Flächenkulisse festlegen
Stadtnatur besteht aus unterschiedlichen Freiraumtypen. Neben gestalteten Grün- und Freiflächen wie Parks, Kleingärten und Friedhöfen gibt es in Stadtgebieten Reste der Naturlandschaften wie Gewässer, Feuchtgebiete und Wälder sowie land- und forstwirtschaftliche genutzte Gebiete mit Äckern, Wiesen und Forsten sowie eine spezifische urbane Natur, die sich spontan und über Sukzession auf Brach- und Restflächen entwickelt. Grundsätzlich können alle Arten von Stadtnatur unabhängig von Besitzverhältnissen und Entstehung Teil der grünen Infrastruktur werden, wenn sie entsprechende Qualitäten aufweisen bzw. entsprechend aufgewertet werden.
Kommunen sollten daher die Flächen, die das „Grundgerüst“ der grünen Infrastruktur der Stadt bilden, das heißt von stadtweiter Relevanz sind, bestimmen. Viele Kommunen haben dieses Grundgerüst bereits identifiziert. Sie sichern und entwickeln dieses z. B. als Freiraumsystem oder Biotopverbundsystem. Grüne Infrastruktur-Typologien helfen zusätzlich, das Grundgerüst zu definieren. Eine solche Typologie beschreibt die prägenden Elemente der grünen Infrastruktur einer Stadt mit den jeweiligen Eigenschaften, Funktionen und Zielsetzungen (z. B. große Parkanlagen, Landschaftsräume am Stadtrand, übergeordnete Grünzüge oder schmale Grünverbindungen). Über die Beschreibung eines Zielzustands wird deutlich, welche ökologischen, sozio-kulturellen oder stadtgestalterischen Funktionen der jeweilige Typ übernehmen soll und wie die einzelnen Freiräume, die zu diesem Typ gehören, entwickelt werden sollen.
Die Flächenkulisse für das gesamte Stadtgebiet bildet eine wichtige Planungsgrundlage und dient der Sicherung und Weiterentwicklung der grünen Infrastruktur. Auf nachgelagerten Planungsebenen können weitere Elemente der grünen Infrastruktur relevant sein, die nicht in der stadtweiten Flächenkulisse erfasst sind. Wenn z. B. Stadtquartiere um- oder neu geplant werden, sollten die wertvollen Stadtnaturflächen sowie auch mögliche Grünverbindungen frühzeitig erfasst werden (basierend auf BfN 2017, verändert und ergänzt).
Weiterführende Informationen
„Graue“ Potenzialflächen identifizieren
Gerade in dicht bebauten Stadtgebieten müssen zur Milderung der Folgen des Klimawandels, zur Verbesserung der Umweltqualität und als Lebensraum für Siedlungsarten Flächen für Begrünung gefunden werden. Flächenpotenzial bietet die graue Infrastruktur bzw. bebaute und versiegelte Flächen wie Dächer und Fassaden, Erschließungs- und Freiflächen der Wohn-, Gewerbe-, Sozial- oder Bürogebäude sowie Verkehrsflächen und Flächen der Ver- und Entsorgung. Diese Flächen können mit Elementen der grünen Infrastruktur ergänzt werden. Brachen werden beispielsweise durch Entsiegelung und Rückbau von Gebäuden Teil der grünen Infrastruktur. Auf anderen „grauen“ Flächen können die versiegelten Bereiche reduziert, bepflanzt und Flächen anders verteilt werden. Soziale Einrichtungen können ihre Außenbereich durch Naturerfahrungsräume, kleine Parks oder Gemeinschaftsgärten aufwerten. Auch Gebäude können durch Dach- und Fassadenbegrünung oder eine entsprechende Freiflächengestaltung zur grünen Infrastruktur beitragen, auch wenn sie öffentliche Grün- und Freiflächen nicht ersetzen können.
In Deutschland besteht ein erheblicher Sanierungsbedarf der Verkehrs- und auch Entwässerungssysteme. Hier entstehen Chancen, un- oder wenig genutzte versiegelte Flächen zu Elementen der grünen Infrastruktur um- und rückzubauen und z. B. Baumpflanzungen oder Versickerungsflächen zu integrieren.
Daher empfiehlt es sich, Potenzialflächen im Stadtgebiet zu erfassen und zu prüfen, inwiefern Möglichkeiten für die Begrünung bestehen. Die Flächen können beispielsweise aus Planwerken der Stadt- und Verkehrsplanung stammen, aus Brachflächenkatastern oder es können stark versiegelte Stadtgebiete mit einem Bedarf an Begrünung als Suchräume definiert werden.
Grüne Infrastruktur erfassen und bewerten
Um strategische Entscheidungen treffen zu können, sollten die Grundelemente und Potenzialflächen vollständig erfasst werden. Ziel sollten flächenscharfe Umweltinformationen für das gesamte Stadtgebiet sein, die auch den Innenbereich abbilden. Dabei kann eine Vielfalt an Geodaten inklusive Luft- und Satellitenbilder, die von übergeordneten Behörden oder über frei zugängliche Dienste zur Verfügung gestellt werden, genutzt werden. Über Fernerkundung stehen zunehmend feiner auflösende Erfassungsmethoden zur Verfügung, die über Automatisierung effizient flächendeckende Informationen verfügbar machen. Auch aus kommunalen Planungen und Datengrundlagen wie Landschaftsplänen, Biotoptypenkarten und Freiraumanalysen kann abgeleitet werden, wo Grund- und Verbundelemente bestehen oder weiter qualifiziert und Lücken im Freiraumnetz geschlossen werden müssen. Zur Bewertung von Natur und Landschaft in Kommunen bietet die Landschaftsplanung ein umfassendes Methodenspektrum, das sich jedoch vor allem auf den Außenbereich bzw. die offene Landschaft bezieht. Um die ökologischen Besonderheiten von Siedlungsgebieten bzw. bebauten Räumen zu erfassen, wurden Ansätze zur Bewertung von Stadtnatur und ihren Ökosystemfunktionen entwickelt. Ein Beispiel sind Stadtbiotopkartierungen, die Aussagen über die naturschutzfachliche Bedeutung enthalten. In vielen Kommunen fehlen allerdings flächendeckende Biodiversitätsdaten oder sind veraltet. Aktuelle Daten beziehen sich häufig auf Teilräume wie z. B. Schutzgebiete oder Areale, in denen Eingriffe stattfinden sollen. Für Erhaltung und Förderung der biologischen Vielfalt ist es wichtig, die Datengrundlagen zu verbessern, regelmäßig flächendeckend Daten zu erfassen und daraus Handlungen abzuleiten.
Im Bereich der Klimaanpassung gibt es unterschiedliche Methoden, um die Empfindlichkeit bzw. Gefährdung von Stadtgebieten durch die Folgen des Klimawandels zu bewerten. Normen wie die DIN EN ISO 14901 „Anpassung an den Klimawandel - Vulnerabilität, Auswirkungen und Risikobewertung“ sorgen hier für eine gewisse Standardisierung. Aufgrund der Neuheit des Themas und der Dringlichkeit planerisch tätig zu werden, gibt es in vielen Kommunen bereits aktuelle Planungen zur Klimaanpassung.
Raumbezogene Daten sollten untereinander kompatibel z. B. in Geoinformationssystemen aufbereitet werden, damit unterschiedliche Daten miteinander überlagert werden können, um eine multifunktionale grüne Infrastruktur zu entwickeln.
Partizipative Bewertungsansätze
Neben den Fachdaten sollten auch Erfahrungswissen und Vorstellungen der Bevölkerung in die Entwicklung der grünen Infrastruktur einfließen. Hierfür gibt es vielfältige Methoden aus der Partizipation. Über öffentliche partizipative GIS-Anwendungen (PPGIS) können beispielsweise raumbezogene Wahrnehmungen der Stadtgesellschaft generiert werden. Bei kartenbasierten online-PPGIS-Anwendungen werden Erkenntnisse zur Freiraumnutzung und -wahrnehmung in georeferenzierter Form erfasst und können Planungsentscheidungen ergänzen.
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Ökosystemleistungen bewerten
Über Ökosystemleistungen trägt die grüne Infrastruktur wesentlich zur Lebensqualität in Städten bei. Dabei sind zahlreiche regulierende und kulturelle sowie auch versorgende Ökosystemleistungen relevant. Beispiele für regulierende Ökosystemleistungen sind die Temperaturregulierung durch Verschattung und Verdunstung, Bindung von Feinstaub und anderen Luftschadstoffen oder Rückhaltung von Regenwasser. Unter kulturellen Leistungen werden Möglichkeiten zu sozialen Kontakten und Erholungsaktivitäten im Grünen oder Naturerleben und ästhetisches Empfinden gezählt. Versorgend meint zum Beispiel die Speicherung von Trinkwasser im Boden oder Produktion von Nahrungsmitteln in Gärten.
Es gibt eine Vielzahl von Bewertungsansätzen und -methoden, um Ökosystemleistungen messbar zu machen. Diese wurden bisher im Rahmen von Forschungsprojekten in der Landschaftsplanung, Regionalplanung oder Stadt- und Freiraumplanung erprobt. Übliche Bewertungsansätze, die auf Proxy-Werten und Landnutzungskategorien basieren, erlauben eine überschlägige Quantifizierung der Ökosystemleistungen. Sie ermöglichen z. B. in Form von Szenarien, die Folgen von Landnutzungsänderungen aufzuzeigen. Über die Quantifizierung und Monetarisierung können ökonomische Werte von Ökosystemen oder Umweltschadenskosten durch den Verlust von Ökosystemleistungen in Entscheidungsprozesse einfließen.
Die Quantifizierung und ökonomische Bewertung von Ökosystemleistungen wird genutzt, um den Wert von Stadtnatur an Entscheidungsträger*innen oder die Öffentlichkeit zu kommunizieren. Der monetäre Wert von Ökosystemleistungen, die beispielsweise über Stadtbäume generiert werden, kann Argumente für Budgetverhandlungen und politische Prioritätensetzung liefern und der Annahme, dass Stadtnatur vor allem ein Kostenfaktor sei, entgegenwirken.
Kenn- und Orientierungswerte nutzen
Die Frage, wie groß der Anteil an Stadtnatur sein sollte, treibt Kommunen seit langem um. Für den bundesweiten Biotopverbund werden z. B. 10 % der Landesfläche vorgegeben, auf denen Lebensräume gesichert und die Vernetzung gefördert werden sollen, zu dem auch Kommunen einen Beitrag leisten sollten. Die Grün- und Freiraumplanung arbeitet seit über 100 Jahren mit Richtwerten zur quantitativen Freiraumversorgung und zur Erreichbarkeit von Grünräumen. Die in den 1970ern von der Deutschen Gartenamtsleiterkonferenz definierten Richtwerte werden bis heute in teilweise angepasster Form in vielen deutschen Großstädten angewandt.
Seit kurzem liegen neue bundesweit einheitliche Orientierungswerte für das öffentliche Grün aus dem BfN-geförderten Vorhaben „Stadtnatur erfassen, schützen, entwickeln“ vor. Diese beziehen sich auf die Funktionen des Stadtgrüns für Erholung und Gesundheit, Klima und biologische Vielfalt. Sie enthalten konkrete Vorschläge für die Grünversorgung, Grünerreichbarkeit, Ausstattung mit Straßenbäumen und Straßenbegleitgrün sowie zur Grünraumvernetzung und Umweltgerechtigkeit sowie zur Arten- und Lebensraumvielfalt und Naturnähe.
Das Gesetz der Europäischen Union zur Wiederherstellung der Natur strebt bis 2030 in Städten das Ziel an, keinen Nettoverlust an Grünflächen zu verzeichnen. Demnach soll die Gesamtfläche der städtischen Grünflächen pro Land zunehmen. Auch der Baumbestand bzw. die mit Baumkronen überschirmte Fläche soll erhöht werden.
Weiterführende Informationen
Digitale Grünflächeninformationssysteme und Baumkataster
Um den Gesamtbestand an Stadtnatur effektiv zu planen, entwickeln und unterhalten sind digitale Informationssysteme ein wichtiges Steuerungsinstrument. Grünflächen- oder Baumkataster sowie komplexere Managementsysteme sammeln Informationen, können für die Planung eingesetzt werden oder können Pflegepläne und -maßnahmen für die Unterhaltung hinterlegt werden. Grünflächeninformationssysteme bilden in der Regel den Unterhaltungsaufwand für die einzelnen Flächen ab und sind daher für die Betriebswirtschaftlichkeit und Ressourcenplanung von hoher Bedeutung. Statistiken zum Bestand an Grünflächen oder Stadtbäumen bilden eine Grundlage für das stadtweite Monitoring der grünen Infrastruktur. Wenn die Systeme mit sozialen und ökologischen Daten verknüpft sind, können sie auch für die Entwicklung der grünen Infrastruktur genutzt werden, indem beispielsweise Mängel in der Freiraumversorgung erkennbar sind oder bei der Sanierungsplanung besonders schutzwürdige Flächen und Elemente frühzeitig bekannt sind.