Neue Rote Listen: Amphibien und Reptilien in Deutschland stärker gefährdet als andere Artengruppen
Die negativen Entwicklungen überwiegen in beiden Gruppen deutlich. Bei allen Reptilien- und fast allen Amphibienarten ist der Bestand in den vergangenen 120 Jahren zurückgegangen. „Für drei Viertel der Amphibienarten und mehr als zwei Drittel der Reptilienarten wurden auch in den vergangenen 20 Jahren weitere Abnahmen festgestellt. Damit hat sich deren Bestandssituation weiter verschärft“, sagt Dr. Alfred Herberg, Leiter des Fachbereichs II im BfN.„Hauptursache für die alarmierende Gefährdungssituation der Amphibien und Reptilien ist der Verlust ihrer Lebens- und Teillebensräume. Dazu gehören Brut- und Laichbiotope, strukturreiche Sommerquartiere und frostsichere Überwinterungsplätze. Insbesondere die Auswirkungen der intensiven land- und forstwirtschaftlichen Nutzung, die Zerschneidung von Lebensräumen durch Verkehrswege sowie die anhaltende Flächeninanspruchnahme durch neue Wohn-, Gewerbe- und Verkehrsflächen sind für deren Verlust ausschlaggebend.“
In der aktuellen Roten Liste der Amphibien sind alle 21 in Deutschland vorkommenden Arten und in der aktuellen Roten Liste der Reptilien alle 14 Arten erfasst. Hinsichtlich seiner Gefährdungssituation nicht bewertet wurde der vom Menschen eingeschleppte Nordamerikanische Ochsenfrosch. Die als eigene Arten anerkannten Barrenringelnatter und Ringelnatter wurden in der Roten Liste der Reptilien gemeinsam bewertet. Erstmals standen für die vorliegenden Roten Listen Auswertungen bundesweiter Rasterverbreitungsdaten zur Verfügung, um die Bestandsentwicklung zu ermitteln.
„Es ist uns gelungen, für diese Roten Listen einen sehr großen Teil der Art-Expertinnen und -Experten Deutschlands zu gewinnen und damit einen großen Erfahrungsschatz zu bündeln. 44 Autorinnen und Autoren haben in einem eigens dafür gegründeten Rote-Liste-Gremium dieses Gemeinschaftswerk erarbeitet. Die meisten Beobachtungsdaten sind Ergebnis ehrenamtlicher Kartierungen – ohne das Engagement der ehrenamtlich tätigen Expertinnen und Experten wäre die Erstellung der Roten Listen nicht in dieser Qualität möglich gewesen“, erläutert Dr. Steffen Caspari, Leiter des Rote-Liste-Zentrums.
Viele Amphibien und Reptilien sind in Deutschland unmittelbar von der Fortsetzung von Natur- und Artenschutzmaßnahmen abhängig. „In unserer zunehmend monotonen und ausgeräumten Landschaft haben es Amphibien und Reptilien immer schwerer. Ohne tiefgreifende Veränderungen in der Land- und Forstwirtschaft werden wir einen Großteil der Arten zukünftig nur noch in wenigen isolierten Schutzgebieten vorfinden. Wir brauchen dringend eine naturverträglichere Land- und Forstwirtschaft. Zudem müssen wir die natürliche Dynamik in der freien Landschaft wieder zuzulassen und den Flächenverbrauch im Verkehrs- und Siedlungsbereich reduzieren“, erläutert Dr. Ulrich Schulte, Experte der Amphibien und Reptilien und Koordinator der beiden Roten Listen.
Zu den besonders gefährdeten Amphibienarten zählen unter anderem die Geburtshelferkröte und die Gelbbauchunke, ursprünglich Arten der Auen, die heute hauptsächlich in Ersatzlebensräumen wie Abgrabungen zu finden sind. Unter den Reptilien sind u.a. die an Fließgewässer gebundene Würfelnatter besonders gefährdet sowie die Kreuzotter, die unterschiedliche sonnenexponierte Offenland-Lebensräume, wie z.B. Sandheiden oder Blockhalden, besiedelt. Aber auch bei den 10 nicht als bestandsgefährdet eingestuften Amphibienarten wurde für die Hälfte in den vergangenen 20 Jahren Bestandsabnahmen festgestellt, bei den Reptilien waren es drei von vier Arten, dazu zählen auch häufigere Arten wie der Feuersalamander oder die Westliche Blindschleiche.
Die aktuellen Roten Listen der Amphibien und Reptilien konnten für keine Art in den vergangenen 20 Jahren deutliche Zunahmen der Bestände feststellen. Bei lediglich zwei Amphibien- und bei vier Reptilienarten haben sich einzelne Vorkommen stabilisiert, was überwiegend auf Natur- und Artenschutzmaßnahmen zurückzuführen ist: Der Springfrosch profitierte beispielsweise von der Förderung des Laubwaldanteils in Wäldern und der Neuanlage von Gewässern, die Östliche Smaragdeidechse profitierte von Maßnahmen zur Erhaltung und Aufwertung der Offenland-Lebensräume sowie günstigen Witterungsphasen in den vergangenen 20 Jahren.
Neben der Gefährdungssituation haben die Autorinnen und Autoren in den aktuellen Roten Listen auch die nationale Verantwortlichkeit für die weltweite Erhaltung von Arten mit bedeutenden Vorkommen in Deutschland ermittelt. Eine erhöhte Verantwortlichkeit Deutschlands besteht für neun Arten der Amphibien und sieben Reptilienarten, darunter auch Arten, die in ihrem Bestand abnehmen wie der Laubfrosch und die noch häufigste Reptilienart Deutschlands, die Westliche Blindschleiche. Für den national ebenfalls noch häufigen Bergmolch schätzen Expertinnen und Experten, dass Deutschland fast ein Drittel der weltweiten Vorkommen beherbergt.
Fotos stellt das BfN auf Anfrage an presse@bfn.de gern zur Verfügung.
Hintergrund
Die Roten Listen der Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands
In den bundesweiten Roten Listen wird der Gefährdungsstatus von Tier-, Pflanzen- und Pilzarten für den Bezugsraum Deutschland dargestellt. Von den etwa 72.000 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten Deutschlands werden in den Roten Listen mehr als 30.000 auf ihre Gefährdung hin untersucht. Die Roten Listen sind zugleich Inventarlisten für einzelne Artengruppen und bieten Informationen nicht nur zu den gefährdeten, sondern zu allen in Deutschland vorkommenden Arten der untersuchten Organismengruppen. Arten, die in eine der vier Gefährdungskategorien (Vom Aussterben bedroht, Stark gefährdet, Gefährdet oder Gefährdung unbekannten Ausmaßes) eingestuft werden, gelten als bestandsgefährdet.
Die Autorinnen und Autoren bewerten die Gefährdung anhand der Bestandssituation und der Bestandsentwicklung. Die Grundlagen für die Gefährdungsanalysen werden von einer großen Zahl von ehrenamtlichen Artenkennerinnen und Artenkennern ermittelt. Die Roten Listen selbst werden von den Autorinnen und Autoren ebenfalls in weiten Teilen ehrenamtlich erstellt. Sie werden dabei vom Rote-Liste-Zentrum (RLZ) im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) fachlich begleitet. Die Methodik für die Bewertung der Arten wurde vom BfN gemeinsam mit Autorinnen und Autoren entwickelt. Die fachliche Endabnahme und Herausgabe der Roten Listen erfolgen durch das BfN.
Für den Schutz der Artenvielfalt in Deutschland stellen Rote Listen eine entscheidende Grundlage dar. Sie dokumentieren den Zustand von Arten und mittelbar die Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Natur. Damit sind sie Frühwarnsysteme für die Entwicklung der biologischen Vielfalt und zeigen auf, wo Handlungsbedarf besteht. Sie ermöglichen es, Naturschutzmaßnahmen zu gewichten, bei der Umsetzung Prioritäten zu setzen und weisen zugleich auf Forschungsbedarfe hin.
Das Rote Liste Zentrum
Das Rote-Liste-Zentrum (RLZ) koordiniert seit Dezember 2018 im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) die Erstellung der bundesweiten Roten Listen. Das Bundesumweltministerium fördert das Zentrum mit jährlich 3,1 Millionen Euro. Es ist am Projektträger im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bonn angesiedelt und wird fachlich vom BfN betreut.
Das Rote-Liste-Zentrum unterstützt die Autorinnen und Autoren sowie weitere beteiligte Fachleute der Roten Listen, indem es sie bei der Erstellung fachwissenschaftlich begleitet und Kosten für die Koordination, die Arbeitstreffen der Fachleute und andere vorbereitende Arbeiten übernimmt.