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Bundesamt für Naturschutz

Gebietseigene Herkünfte

Seit dem 2. März 2020 darf laut §40 Bundesnaturschutzgesetz das Saat- und Pflanzgut sowohl von krautigen Arten als auch von Gehölzen in der freien Natur nur noch innerhalb ihrer Vorkommensgebiete ausgebracht werden. Im folgenden werden die rechtlichen und fachlichen Grundlagen dazu erläutert.

Ausbringen von gebietseigenem Saat- und Pflanzgut in der freien Natur

Neben einer Erläuterung der Regelung im §40 BNatSchG werden in den folgenden Abschnitten auch Hinweise zum Umgang mit Engpässen bei der Verfügbarkeit von gebietseigenem Saat- und Pflanzgut gegeben. Darüber hinaus werden Empfehlungen zur Verwendung von gebietseigenem Material auch außerhalb der freien Natur ausgesprochen.

In der freien Natur bedarf entsprechend der Vorgaben des § 40 BNatSchG das Ausbringen von Pflanzen, deren Art in dem betreffenden Gebiet in freier Natur nicht oder seit 100 Jahren nicht mehr vorkommt, der Genehmigung. Bis einschließlich 1. März 2020 dürfen laut § 40 Abs. 1 S. 4 Nr. 4 BNatSchG Gehölze und Saatgut noch außerhalb ihrer Vorkommensgebiete ausgebracht werden, danach ist das nicht mehr der Fall.

Die Verwendung gebietseigener Herkünfte dient dem Erhalt der genetischen Vielfalt als Teil der biologischen Vielfalt, wie sie auch in der CBD definiert ist. Sie hat darüber hinaus zahlreiche weitere Vorteile: gebietseigene Herkünfte sind besser an die vorherrschenden Umweltbedingungen angepasst und deshalb meist weniger empfindlich für Umweltänderungen und Störungen. Darüber hinaus können auf bestimmte Pflanzen spezialisierte Tierarten zeitlich mit diesen Pflanzen synchronisiert sein, sodass sich bei einer Verwendung nicht gebietseigener Herkünfte (z.B. aufgrund eines zeitlich verschobenen Blühzeitpunkts oder Blattaustriebs) für diese Arten die Nutzbarkeit der Pflanzen verändern kann.

Aus fachlicher Sicht werden als gebietseigen Pflanzen beziehungsweise Sippen bezeichnet, die aus Populationen einheimischer Sippen stammen, welche sich in einem bestimmten Naturraum über einen langen Zeitraum in vielen Generationsfolgen vermehrt haben. Es ist davon auszugehen, dass hier eine genetische Differenzierung gegenüber Populationen der gleichen Art in anderen Naturräumen erfolgt ist.

Gebietseigene Herkünfte beziehen sich generell auf das Saat- und Pflanzgut von Wildpflanzen. Zuchtsaatgut kann demnach nicht gebietseigen sein. Auch das Saat- und Pflanzgut von Neophyten kann aus fachlicher Sicht nicht gebietseigen sein.

Aus rechtlicher Sicht ist der Begriff gebietseigen selbst nicht definiert, es sind die eingangs unter „Regelung“ aufgeführten Aspekte zu beachten.

Freie Natur im Sinne des § 40 BNatSchG meint nicht nur die unberührte Natur, sondern der Begriff ist als Gegenstück zum besiedelten Bereich zu verstehen. Dabei kommt es auf die tatsächliche Zuordnung an. Freie Natur ist nicht strikt auf den Außenbereich begrenzt, sondern kann unter Umständen auch im Innenbereich vorkommen. Zur freien Natur zählen in der Regel:

  • Flächen innerhalb von Schutzgebieten sowie gesetzlich geschützte Biotope,
  • Straßenbegleitgrün an Verkehrswegen und Kompensationsflächen,
  • Wegsäume und Randstreifen,
  • oberirdische Gewässer einschließlich ihrer Ufer, Fluss- und Seedeiche,
  • sonstige Flächen ohne zusammenhängende Bebauung (z.B. Flächen unter Photovoltaikanlagen),
  • extensiv genutzte Flächen in Siedlungen und deren Übergangsbereiche zur Landschaft sowie
  • nicht intensiv genutzte Bereiche von Sport- und Freizeitanlagen.

Nicht zur freien Natur zählen unter anderem:

  • der innerstädtische und innerörtliche Bereich sowie
  • Splittersiedlungen, Gebäuden zugeordnete Gärten und Wochenendhausgebiete im Außenbereich,
  • Parkanlagen und Friedhöfe, sofern sie nicht dauerhaft extensiv genutzt werden sowie
  • intensiv genutzte Bereiche von Sport- und Freizeitanlagen sowie Spielplätze.

Land- und forstwirtschaftliche Flächen sind grundsätzlich ebenfalls Teil der freien Natur. Der Anbau von Pflanzen in der Land- und Forstwirtschaft ist aber nach § 40 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 BNatSchG von dem Genehmigungsvorbehalt ausgenommen.

Die oben aufgeführte Auflistung ist nicht abschließend, und dient vor allem der Orientierung. Entscheidend ist daneben auch immer die Betrachtung im Einzelfall.

Um eine Nichtverfügbarkeit von gebietseigenem Saat- und Pflanzgut krautiger Arten und gebietseigenem Saat- und Pflanzgut von Gehölzen zu vermeiden, sollten alle Auftraggeber sich rechtzeitig, das heißt so früh wie möglich im Projektverlauf, damit befassen, welche Saat- oder Pflanzgutmengen benötigt werden, und wie diese beschafft werden können. Es ist von Seiten der Auftraggeber in Abhängigkeit von der naturschutzfachlichen Wertigkeit der zu begrünenden Fläche zunächst zu prüfen, ob lokales Saatgut projektspezifisch gewonnen werden soll und kann, bzw. ob regionales Saatgut verfügbar ist.

Ist absehbar, dass beides nicht der Fall ist, so muss von der zuständigen Naturschutzbehörde auf Antrag entschieden werden, ob eine Ausnahme genehmigt werden kann, und wenn ja, welche Art von Saatgut auf der konkreten Fläche ausgebracht werden darf. Eine Genehmigung ist dabei zu versagen, wenn eine Gefährdung von Ökosystemen, Biotopen oder Arten der Mitgliedstaaten [der europäischen Union] nicht auszuschließen ist (§ 40 Abs. 1 S. 3 BNatSchG).

Die Regelung im § 40 BNatSchG betrifft alle Flächen in der freien Natur. Davon ausgenommen ist unter anderem der Anbau in der Land- und Forstwirtschaft. Doch auch auf Flächen, die nicht unter die Neuregelung fallen (z.B. gestaltete Parkanlagen im Siedlungsbereich), ist die Verwendung von gebietseigenem Saat- und Pflanzgut krautiger Arten und gebietseigenem Saat- und Pflanzgut von Gehölzen aus fachlicher Sicht grundsätzlich empfehlenswert. Die gleiche Empfehlung gilt selbstverständlich auch für im gärtnerischen Sinne als „Stauden“ verkaufte Pflanzen.

Bei der Verwendung von gebietseigenem Saat- und Pflanzgut außerhalb der freien Natur ist jedoch zu prüfen, ob in dem jeweiligen Gebiet eine entsprechende Verfügbarkeit von gebietseigenem Saat- und Pflanzgut krautiger Arten bzw. gebietseigenem Saat- und Pflanzgut von Gehölzen in ausreichender Menge gegeben ist.

Neben dem Klima sind weitere Faktoren entscheidend für die regionalen  und lokalen Verbreitungsmuster von Pflanzen. Dazu zählen zum Beispiel Morphologie, Landnutzung, Bodenart, Wasserverfügbarkeit und Konkurrenzverhältnisse. Wie bedeutsam der Einfluss des Klimas im Verhältnis zu den anderen Faktoren überhaupt ist, ist bislang wissenschaftlich kaum erforscht. Für eine generelle Annahme, gebietsfremde Arten aus wärmeren und/oder trockeneren Gebieten würden unter den sich ändernden klimatischen Bedingungen in Deutschland geeigneter sein, liegen keine wissenschaftlichen Belege vor. Diese Annahme basiert größtenteils auf Modellierungsergebnissen; die Anzahl an Feldversuchen ist bislang sehr gering und die Ergebnisse sind nicht eindeutig. Klimatoleranz besteht aus verschiedenen Eigenschaften. So ist beispielsweise zwischen Hitze- und Trockenheitstoleranz zu unterscheiden, die beide nicht zwangsläufig miteinander gekoppelt sind.

Gebietseigenes Saat- und Pflanzgut von Gehölzen

Im Rahmen einer übergreifenden Arbeitsgruppe wurde im Jahr 2012 ein bundesweiter Leitfaden zum Thema „Gebietseigene Gehölze“ entwickelt und vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) veröffentlicht. Dieser Leitfaden enthält unter anderem die Abgrenzung von insgesamt sechs Vorkommensgebieten für die kommerzielle Produktion und Ausbringung von gebietseigenen Gehölzen. Zusätzlich wurden von Bayern, Baden-Württemberg und Brandenburg weitere Unterteilungen vorgenommen. Die räumlichen Abgrenzungen der sechs bundesweiten Vorkommensgebiete, sowie der länderspezifischen Unterteilungen, werden zukünftig in einem speziellen BfN-Kartendienst hinterlegt.

Für die Produktion und das Inverkehrbringen von Gehölzsaatgut forstlich genutzter Arten, die in Deutschland gebietseigen sind, gelten die Vorgaben des Forstvermehrungsgutgesetzes (FoVG). Bei Arten des FoVG empfiehlt sich zur Auslegung des Begriffs der Vorkommensgebiete im Sinne des § 40 Abs. 1 S. 1 BNatSchG eine Orientierung anhand der Hinweise im „Leitfaden zur Verwendung gebietseigener Gehölze“. Für Forstarten mit mehr als sechs Herkunftsgebieten soll die oben dargestellte Einteilung für gebietseigene Gehölze gelten, während für Forstarten mit weniger als sechs Herkunftsgebieten die Herkunftsgebiete nach FoVG gelten sollen.

Dieser Leitfaden enthält außerdem Angaben dazu, welche der häufigen Gehölze in welchem Vorkommensgebiet gebietseigen sind. Darüber hinaus liegen in den meisten Bundesländern weitergehende Informationen bzw. Leitfäden vor, die Hinweise dazu geben, welche Art in einer bestimmten Region gebietseigen ist.

Für gebietseigene Gehölze waren im Jahr 2019 insgesamt acht verschiedene Zertifikate am Markt zu finden. Um eine Vergleichbarkeit und die Einhaltung von Mindeststandards zu garantieren, besteht seit Juni 2019 die Möglichkeit der Akkreditierung der verschiedenen Zertifizierungsstellen bei der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS). Für eine bessere Rückverfolgbarkeit der Waren wurden im Rahmen des Fachmoduls außerdem Vorgaben für eine bundesweit einheitliche Erntereferenznummer geschaffen. Diese Nummer wird zukünftig bei den Zertifizierern geführt und kann bei Bedarf dort eingesehen werden. Sie hat folgende Systematik:

Die Bedeutung der einzelnen Elemente der Erntereferenznummer anhand eines Beispiels.
Bestandteile der Erntereferenznummer Beispiel
Erntebestandsnummer (10 Stellen)  
Länderkennzeichen (2 Stellen) 09 (= Bayern)
Gehölzart (3 Stellen) 014 (= Corylus avellana: Gewöhnliche Hasel)
Vorkommensgebiet (2 Stellen) 52 (= Schwäbische und Fränkische Alb)
Erntebestand (3 Stellen) 022 (= Nr. 22)
ID-Nummer (7 Stellen)  
Zertifizierungsstelle (2 Stellen) 01 (= LKP Bayern)
Jahr der Ernte (2 Stellen) 17 (= 2017)
Ernte/Mischung (1 Stelle) 1 (= Ernte)
Laufende Ernte bzw. Mischung (2 Stellen) 28 (= Nr. 28)

 

Gebietseigenes Saat- und Pflanzgut krautiger Arten

Generell ist bei gebietseigenem Saat- und Pflanzgut gut zwischen lokalem Saat- und Pflanzgut (naturraumgetreuem Saat- und Pflanzgut) und regionalem Saat- und Pflanzgut (Regiosaatgut/Regiopflanzgut) zu unterscheiden.

Lokales Saat- und Pflanzgut wird durch die Beerntung von mehreren geeigneten Spenderflächen mittels spezialisierter Verfahren gewonnen (z.B. per Mahd- oder Druschgutübertragung), ggf. zwischengelagert, und dann direkt auf der zu begrünenden Fläche ausgebracht. Die Spenderflächen sollten dazu von der Artenzusammensetzung her passend ausgewählt werden und sich in räumlicher Nähe zu der Zielfläche befinden.

Um zu entscheiden, ob Saat- und Pflanzgut noch als „lokal“ bezeichnet werden kann, wird z.B. in den FLL-Empfehlungen zu gebietseigenem Saatgut die Unterteilung Deutschlands in 502 „natürliche Haupteinheiten“ (nach Meynen & Schmithüsen 1953-1962) zugrunde gelegt. Lokales Saatgut eignet sich vor allem für die Begrünung von höherwertigen Flächen, z.B. für Artenschutz- oder Renaturierungsmaßnahmen sowie zur Verwendung auf Kompensationsflächen. Bei ausreichender Verfügbarkeit kann lokales Saat- und Pflanzgut auch für die Begrünung von weniger hochwertigen Flächen genutzt werden. Das gilt insbesondere für Regionen, in denen derzeit keine Produktion von regionalem Saat- und Pflanzgut stattfindet (z.B. in den Alpen oder im Schwarzwald).

Regionales Saat- und Pflanzgut wird produziert, indem die Arten zunächst einzeln auf geeigneten Flächen, z.B. in Schutzgebieten, gesammelt und anschließend auf dem Acker ausgebracht und dann dort über maximal fünf Generationen vermehrt werden. Aus dem geernteten Saatgut der einzelnen Arten werden dann verschiedene Standardmischungen bzw. projektspezifische Mischungen zusammengestellt.

Im Rahmen eines Forschungsvorhabens der Universität Hannover wurde im Jahr 2010 für die kommerzielle Produktion von regionalem Saat- und Pflanzgut eine Abgrenzung von 22 Ursprungsgebieten auf der Grundlage der naturräumlichen Gliederung Deutschlands nach Meynen & Schmithüsen (1953-1962) erarbeitet. Diese Gebietskulisse wurde im Zusammenhang mit dem Artenfilter der Universität Hannover entwickelt, welcher Orientierung zu der Frage bietet, welche Arten in dem jeweiligen Ursprungsgebiet als Regiosaat- und Pflanzgut geeignet sind, und damit pauschal in Standardmischungen im gesamten Ursprungsgebiet zum Einsatz kommen können.

Diese Abgrenzung der 22 Ursprungsgebiete ist auch in die Erhaltungsmischungsverordnung (ErMiV) eingegangen, in der das Inverkehrbringen von Erhaltungsmischungen geregelt wird. Hier wurden darüber hinaus die 22 Ursprungsgebiete auf acht sogenannte Produktionsräume aufgeteilt, innerhalb derer die Arten auch außerhalb des eigentlichen Ursprungsgebietes vermehrt werden dürfen. Die räumliche Abgrenzung der Ursprungsgebiete und der Produktionsräume sind in einem Kartendienst der Universität Hannover dargestellt. Für regionales Saat- und Pflanzgut empfiehlt sich zur Auslegung des Begriffs der Vorkommensgebiete im Sinne des § 40 Abs. 1 S. 1 BNatSchG die Gebietskulisse mit den 22 Ursprungsgebieten für die Ausbringung von in den jeweiligen Ursprungsgebieten weit verbreiteten Arten.

Zur Sicherstellung der regionalen Herkünfte sollte auf zertifiziertes Saatgut zurückgegriffen werden. Derzeit gibt es für regionales Saatgut in Deutschland zwei Zertifikate, VWW Regiosaaten und Regiozert, welche nachweisen, dass es sich bei dem verkauften Wildpflanzensaatgut um gebietseigenes Material handelt. Für Regiostauden gibt es derzeit ein Zertifikat des VWW (VWW Regiostauden).

Neben den Webseiten und Leitfäden der Bundesländer und der entsprechenden Fachliteratur bietet auch der Artenfilter der Universität Hannover eine gewisse Orientierung, welche Arten für ein bestimmtes Gebiet als Regiosaat- und Pflanzgut geeignet sind, und im gesamten Ursprungsgebiet zum Einsatz kommen können - hier ist jedoch der Datenstand des Artenfilters (2010) zu berücksichtigen.  Von der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. (FLL) wurden im Jahr 2014 außerdem Empfehlungen der FLL zum Thema „Gebietseigenes Saatgut“ entwickelt, die derzeit überarbeitet werden. Sie enthalten unter anderem konkrete Mischungsvorschläge.

Während für naturschutzfachlich höherwertige Flächen bevorzugt lokales Saat- und Pflanzgut zum Einsatz kommen sollte, sollte regionales Saat- und Pflanzgut bevorzugt für die Begrünung von weniger wertigen Flächen zum Beispiel im Rahmen von landschaftsbaulichen Begrünungen genutzt werden.

Forschungsvorhaben des BfN zu gebietseigenem Saat- und Pflanzgut krautiger Arten

Im Rahmen eines aktuellen Forschungsvorhabens am BfN sollen die fachlichen Grundlagen zur Verwendung von gebietseigenem Saat- und Pflanzgut krautiger Arten verbessert werden. Das Forschungsvorhaben besteht aus zwei Modulen:

Modul 1: Analog zum Leitfaden zu gebietseigenen Gehölzen wurde 2021/2022 in diesem Teilprojekt unter Beteiligung aller relevanten Akteure ein Leitfaden zu gebietseigenem Saat- und Pflanzgut krautiger Arten entwickelt.

Modul 2: In diesem Teilprojekt mit einer Laufzeit von dreieinhalb Jahren (Mai 2020 – Oktober 2023) sollen die genetische Vielfalt und die genetischen Differenzierungsmuster einer Auswahl an krautigen Arten in Deutschland näher untersucht werden. Mehr Informationen dazu finden Sie auf der Projektwebseite (Projekt RegioDiv, UFZ Halle).

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