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Bundesamt für Naturschutz

Zerschneidung und Wiedervernetzung

Mit der Zerschneidung von Lebensräumen und Ökosystemen durch lineare Verkehrsinfrastrukturen sind zahlreiche negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt verbunden. Insbesondere das Netz vielbefahrener Straßen ist in Deutschland so eng, dass die nachhaltige Sicherung der Biodiversität ohne die gezielte Planung und Umsetzung von Querungshilfen zur Überwindung der Barriere Straße nicht möglich ist. Aus Naturschutzsicht müssen daher Konzepte zur Wiedervernetzung von Lebensräumen über Verkehrswege möglichst kohärent zu den Biotopverbundplanungen auf Bundes- und Landesebene als Planungsgrundlage weiterentwickelt und zur Umsetzung gebracht werden.

Ausgangssituation

Neben dem flächenhaften Verlust von Lebensräumen, der Verinselung durch umgebende intensive Landnutzung sowie dem Verlust der Qualität der verbliebenen Flächen als nutzbarer Lebensraum ist die Zerschneidung von Habitaten und Lebensraumnetzen durch lineare Verkehrsinfrastrukturen (Bau und Betrieb) eine der bedeutsamsten Ursachen für die Gefährdung von Arten und deren Populationen.

In Europa haben Frankreich mit 1.027.183 km und von Deutschland mit 686.892 gefolgt von Spanien mit 681.224 die längsten Verkehrsnetze. Bezogen auf die Straßennetzdichte hat Deutschland das bei weitem dichteste Verkehrsnetz mit 1,9 gefolgt von Frankreich mit 1,6 und Spanien mit 1,35.

Auch hat z. B. die Verkehrsstärke auf den Autobahnen von durchschnittlich 43.900 KfZ/d (1995) und 48.800 KfZ/d (2008) auf 51.018 (2020) zugenommen. Die Gesamtverkehrsleistung des motorisierten Individualverkehrs betrug 2008 ca. 869.600.00 Mrd PKm, die Jahresfahrleistung der Kraftfahrzeuge betrug 2019 917,0 Mrd Pkm. Aus Verkehrssicherungsgründen wurde 2010 der Regequerschnitt (RQ) für Bundesautobahnen von 29,0 auf 31,0 erweitert. Zusätzlich werden infolge der hohen und weiter steigenden Verkehrsdichten zahlreichen bestehende Autobahnen um 2 Spuren auf 6 Fahrspuren (RQ 36) oder 8 Fahrspuren (RQ 43,5) erweitert.
In Europa hat Spanien das größte Autobahnnetz (15.532 km), an zweiter Stelle folgt Deutschland 13.009 km), an dritter Stelle Frankreich (11.618 km), (Stand April 2019).

Zunehmende Verkehrsnetzlänge, Verkehrsnetzdichte und Verkehrsstärke führen neben der direkten Beanspruchung von Flächen für den Neu- oder Ausbau von Straßen zu einer Zunahme der Barriere- und damit auch Isolationswirkungen auf die biologische Vielfalt.

Entwicklung der Dichte des Verkehrsnetzes in Deutschland

Jahr Bundes-autobahnen (km) Bundesstraßen (km) Landesstraßen (km) Kreisstraßen (km) Gemeindestraßen (km) Summe (km) Netzdichte (km Straße/km² Fläche)
1996 11.143 41.770 86.503 89.188 395.400 624.104 1,7
2000 11.429 41.386 86.798 91.054 395.400 626.065 1,8
2005 12.037 41.246 86.868 91.430 395.400 626.981 1,8
2011 12.718 40.203 86.528 91.623 457.171 688.243 1,9

2016

12.949

39.917

86.331

91.950

457.171

~ 687.318

1,9

2022

13.192

37.826

86.862

91.841

457.171

~ 686.892

1,9

(Quelle: Der Elsner, Handbuch für Straßen- und Verkehrswesen: 1996, 2000, 2005, 2011, 2022)

Begriffsdefinitionen zur Zerschneidung

Zerschneidung beschreibt die Unterbrechung zusammenhängender oder funktional miteinander in Verbindung stehender landschaftlicher Strukturen durch lineare Elemente technischer Infrastruktur.

Landschaftszerschneidung beschreibt die Zerschneidung der Fläche einer Region ohne die Qualität und Struktur/Ausstattung der Landschaft zu berücksichtigen. Die Landschaftszerschneidung wird durch den UMK Indikator UZVR (Unzerschnittene verkehrsarme Räume) und die effektive Maschenweite abgebildet.

Habitatzerschneidung beschreibt die Zerschneidung von Habitaten und Lebensraumnetzen. Die Zerschneidung von Habitaten und Habitatnetzen wird durch den Indikator UFR (Unzerschnittene Funktionsräume) abgebildet.

Als Fragmentierung wird die Zergliederung von (naturnahen) Habitaten und Landschaftsteilen durch alle Formen technisch dominierter Raumnutzung (industrialisierte Land- und Forstwirtschaft, Verkehrs- und Siedlungsinfrastruktur etc.) bezeichnet.

Auswirkungen von Zerschneidung

  • die Überbauung von Habitaten
  • die Verkleinerung von Habitaten (auch durch Zunahme von ungünstigen Randeffekten)
  • die Veränderung von Habitatqualitäten durch Störung und Emissionen (Lärm, Licht und stoffliche Einträge)
  • die Isolation von Habitaten bzw. Populationen und damit einhergehend die Verminderung von deren Überlebensfähigkeit einschließlich der Verminderung der genetischen Vielfalt innerhalb von Populationen
  • die Unterbindung von Wanderbeziehungen (tageszeitlich, jahreszeitlich) und von Fernwanderwegen
  • die Unterbindung der Vektorfunktion und Lebensraumgestaltungsfunktion von Arten
  • die Erhöhung der Mortalität durch Verkehrstod.

Lebensraumnetze für Trockenlebensräume, Feuchtlebensräume, naturnahe Wälder und für große waldbewohnende Säugetiere

Lebensraumnetzwerke (auch Lebensraumnetze) sind Systeme von jeweils ähnlichen, räumlich benachbarten, besonders schutzwürdigen Lebensräumen, die potenziell in enger funktionaler Verbindung zueinanderstehen. Im Rahmen von Eingriffsplanungen sollten die Netze vorrangig auf den strategischen Planungsebenen zur Berücksichtigung überörtlicher Bezüge eingesetzt werden.

Auf den nachgeordneten Planungsebenen können die Lebensraumnetze als wichtiger Anhaltspunkt für die Ableitung von Wiedervernetzungsmaßnahmen dienen. Für die Ableitung von konkreten Maßnahmen vor Ort sind im Einzelfall Kartierungen, immer aber die Analyse nach weiteren vorhandenen z. B. artenbezogenen oder landschaftsbezogenen Daten (die nicht älter als 5 Jahre sind) und Auswertungsergebnissen erforderlich sowie die Biotopverbundplanungen und soweit vorhanden, die Wiedervernetzungskonzepte der Länder hinzuzuziehen.

weiterführender Inhalt

Ausgewählte Karten

Auf Anfrage können die den Karten zugrunde liegenden Fachdaten der Lebensraumnetzwerke als GIS Datensätze zugesandt werden.

Kontakt im BfN

Sachgebiet Geoinformation
Bundesamt für Naturschutz

Konzeption - Wiedervernetzung von Lebensräumen im bestehenden Straßenverkehrsnetz

Um die biologische Vielfalt nachhaltig sichern zu können müssen Barrieren überwunden werden und Lebensräume wieder vernetzt werden. 

Unter Wiedervernetzung von Lebensräumen wird ein planvolles Zusammenspiel klassischer Elemente:

  • des Biotopverbunds,
  • planerischer Instrumente (Landschaftsplanung, Raumordnung, Flächennutzungsplanung) und
  • die gezielte Überwindung artifizieller Barrieren (z. B. Straßen)

verstanden. Im weitesten Sinn soll Wiedervernetzung die Leitidee
„Lebensraumkorridore für Mensch und Natur" umsetzen und damit einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung und Weiterentwicklung einer nutzungsfähigen, lebendigen und lebenswerten Landschaft leisten. Wiedervernetzung ist nicht artenschutzzentriert, mit der Wiedervernetzung sollen wesentliche Ökosystemfunktionen gesichert werden, gleichwohl ist Kernelement die Sicherung von Populationen.

Aufbauend auf diesem Konzept wurde das Bundesprogramm Wiedervernetzung entwickelt. Es wurde am 29. Februar 2012 vom Bundeskabinett beschlossen. Der Text des Bundesprogramms Wiedervernetzung ist unter dem nachfolgenden Link abrufbar.

Erhaltung von Vernetzungsbeziehungen bei Neu- und Ausbauplanungen

Bei der Neu- und Ausbauplanung von linearen Infrastrukturen (Straße, Eisenbahn, Kanäle) sind die bestehenden Vernetzungsbeziehungen so zu erhalten, dass Besiedelung und Wiederbesiedelung von Lebensräumen durch Populationen in ausreichender Anzahl und ausreichend oft stattfinden können. Hierfür müssen über verschiedene Planungsebenen sowohl die Vernetzungsbeziehungen und die Notwendigkeit von Maßnahmen nachgewiesen und ausreichend begründet werden. Eine wichtige Planungshilfe über die Beurteilung der Notwendigkeit von Wiedervernetzungsmaßnahmen sind die Lebensraumnetze für Trockenlebensräume, Feuchtlebensräume, naturnahen Waldlebensräume und die Lebensraumnetze für waldbewohnende, größere Säugetiere. Je nach betroffenen Lebensräumen und Arten können dann spezielle Maßnahmen geplant werden, die diese Vernetzungsbeziehungen erhalten. Hierzu zählen verschiedenste technische Möglichkeiten zur Überwindung von Straßen wie z. B. Grünbrücken oder Unterführungen.

Umsetzung

Technische Bauwerke wie z. B. Grünbrücken oder Unterführungen sind Maßnahmen mit denen Lebensraumnetze erhalten oder wiederhergestellt werden können. Wichtige Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit des Bauwerkes ist seine Oberflächengestaltung und die Einbindung in das landschaftliche Umfeld (Umfeldgestaltung) (s. a. Reck et al. 2019: Grünbrücken, Faunatunnel und Tierdurchlässe, BfN Skripten 522). Dabei ist darauf zu achten, dass die Querungshilfen von einem möglichst breiten Artenspektrum genutzt werden können. (s. hierzu auch MAQ 2022, S. 35). Eine Reduktion auf einzelne Arten ist möglichst zu vermeiden.

Je nach betroffener Art kann es erforderlich sein, im Umfeld von Querungshilfen zusätzlich Maßnahmen durchzuführen mit denen zunächst ihre Lebensräume aufgewertet werden. Dies hat zum Ziel Restpopulationen zu stabilisieren und ihre Ausbreitungswilligkeit und -fähigkeit zu fördern.

Indikator - Unzerschnittene verkehrsarme Räume (UZVR) in Deutschland

Schon Mitte der 1970er Jahre wurden die UZVR > 100 km² in der Bundesrepublik Deutschland ermittelt. Anfangs stand der Gedanke der Erholungsvorsorge im Mittelpunkt der Untersuchungen. Mitte der 1990er Jahre erfolgte erstmalig die Berechnung der UZVR für Gesamtdeutschland. Dabei fanden neben der Erholungsvorsorge auch die Belange des Naturschutzes und der Landespflege Berücksichtigung.

Grundlage für die Berechnung der UZVR waren und sind die Zerschneidungskriterien. Diese wurden seit Beginn der Berechnungen weiterentwickelt und ergänzt. Als wichtigstes Zerschneidungskriterium sind dabei die Verkehrsmengen (>1.000 Kfz/d) der Straßen des überörtlichen Verkehrs zu nennen. Orientierend am bundesweiten 5-jährigen Zählrhythmus der Verkehrsmengen erfolgt seit 1995 eine regelmäßige Ermittlung der UZVR. Die aktuell ermittelten UZVR beruhen auf den Verkehrsmengenzählungen von 2015.

Seit 2004 sind die UZVR > 100 km² gemeinsam mit der effektiven Maschenweite (Meff) Bestandteil des Umweltindikators (B1) Landschaftszerschneidung (Beschluss der Umweltministerkonferenz – UMK).

Der Indikator beschreibt die Flächenzerschneidung der Bundesrepublik Deutschland durch lineare Verkehrsinfrastrukturen in einem 5-jährigen Rhythmus. Der Indikator kann nicht zur Ableitung von Wiedervernetzungsmaßnahmen genutzt werden, weil die hierfür erforderlichen qualitativen Aussagen z. B. zu Lebensräumen und Ökosystemen nicht Bestandteil der Methode sind.

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