Blue Carbon: Natürlicher Klimaschutz durch Meeresökosysteme
Als anerkannte Blue Carbon-Speicher gelten Salzmarschen, Seegraswiesen und marine Sedimente. Bei biogenen Riffen und Algenwäldern gibt es noch große Wissenslücken.
Salzmarschen, Seegraswiesen, Mangroven- und Tangwälder speichern insgesamt mindestens 30 Prozent des im Meer festgelegten organischen Kohlenstoffs.
Salzwiesen und Küstenüberflutungsmoore
Salzwiesen entstehen im Übergangsbereich zwischen Meer und Land an flachen Küsten. Dies ist ein Bereich, der durch mehr oder weniger regelmäßige Überflutungen charakterisiert ist und wo die erodierende Kraft des Meeres durch natürliche (z.B. Inseln) oder künstliche Barrieren (z.B. Deiche) abgemildert wird. Dadurch lagert sich feines, kohlenstoffhaltiges Material aus dem Meer ab. Durch die Wassersättigung des Bodens wird der Abbau des abgelagerten organischen Materials und des über die Wurzeln ins Sediment transportierten Kohlenstoffs unterbunden. Bildet sich eine Torfschicht, spricht man auch von einem Küstenüberflutungsmoor. An der Ostsee ist der überwiegende Anteil der Salzwiesen durch Beweidung aus torfbildenden Brackwasserröhrichten entstanden. Die Salzwiesen an der Nordsee entstehen im Gezeitenraum, der bei Ebbe trocken fällt.
Salzwiesen sind sehr effektive Kohlenstoffsenken: Laut einer Studie von 2021 kann eine wieder vernässte Salzwiese in sechs Jahren so viel Kohlenstoff binden und dauerhaft speichern wie ein mitteleuropäischer Wald in 100 Jahren auf vergleichbarer Fläche. Um das zu gewährleisten, bedarf es einer stetigen Sedimentzufuhr sowie einer hohen Wassersättigung im Boden. Diese Voraussetzungen sind jedoch durch menschliche Eingriffe wie Eindeichung, Entwässerung oder Ausbaggerungen häufig nicht mehr gegeben. Fallen Küstenüberflutungsmoore trocken, können sie sich sogar zu einer Treibhausgasquelle entwickeln.

Seegraswiesen
Seegraswiesen kommen auf sandigen Untergrund vor. Sie gelten als besonders effektive Kohlenstoffspeicher, da der in ihren Rhizomen gespeicherte Kohlenstoff dauerhaft im Sediment verbleibt, auch wenn die oberirdischen Teile absterben oder abgerissen werden. Zusätzlich dienen Seegraswiesen als Sedimentfalle. Die herabsinkenden Schwebstoffe häufen sich an und begraben abgestorbene Pflanzenreste. Der Kohlenstoff wird luftdicht abgeschlossen, wodurch er nicht oder nur sehr langsam zersetzt wird.
Die Sedimente der Seegraswiesen können im Vergleich zum Waldboden doppelt so viel Kohlenstoff pro Hektar speichern. Allerdings sind die Kohlenstoffgehalte in den Sedimenten der Seegraswiesen stark unterschiedlich als Folge verschiedener lokaler Faktoren. Ein großer Teil der oberirdischen Pflanzenteile des Seegrases wird aber auch zersetzt und setzt dabei CO2 wieder frei.
Zustand der Seegraswiesen in den deutschen Meeren
Die Bestände an Seegraswiesen in deutschen Gewässern sind in den letzten Jahren erheblich geschrumpft. Durch die Überdüngung der Meere können sich Algen rasant vermehren. Sie trüben die Wassersäule oder setzen sich auf den Seegrasblättern fest, so dass das Seegras selbst nicht mehr genug Licht für sein eigenes Wachstum erhält. Auch die Klimawandel bedingte Erwärmung macht dem Seegras zu schaffen. In der Nordsee ist vor allem der Rückgang in Niedersachsen ausgeprägt, der auch mit der Trübung durch einen hohen Anteil von Schwebstoffen aus den großen Flussmündungen zusammenhängt. Eine Reduktion der Zufuhr von Nährstoffen und Schwebstoffen ins Meer könnte dafür sorgen, dass Seegraswiesen sich wieder selbständig erholen.

Marine Sedimente
Über 70% der Erde sind von den Meeren bedeckt und somit sind die Meeressedimente die Lebensräume mit der größten globalen Flächenausdehnung. Marine unbewachsene Sedimente findet man an den Küsten, wo die Gezeiten einen starken Einfluss auf den Meeresboden haben, (z. B. Wattflächen der Nordsee), und in tieferen Bereichen jenseits der Gezeitenzone. Ihre ausgedehnten Flächen machen sie so interessant und relevant für die Speicherung von Kohlenstoff. Sie speichern organischen und vor allem anorganischen Kohlenstoff in sauerstoffarmen Tiefen des Meeresbodens). Bei hoher Sedimentation und sauerstoffarmen Bedingungen, wie man sie im Schlick schon nach wenigen Millimetern Tiefe findet, kann organischer Kohlenstoff sehr lange unzersetzt im Sediment verweilen. Schlicke sind besonders kohlenstoffreich, da sie eine Ansammlung von feinem, kohlenstoffhaltigem Material darstellen. Für die Sedimente der Ostsee wurde im Vergleich zur Nordsee ein doppelt so hoher Kohlenstoffspeicher ermittelt. Dafür sind verschiedene Faktoren verantwortlich wie z.B. feinkörnigere Sedimente, geringerer Sauerstoffgehalt, mangelnder Gezeiteneinfluss und geringere Strömungsgeschwindigkeiten sowie starkes Phytoplanktonwachstum durch hohe Nährstoffkonzentrationen.
Freisetzung von Kohlenstoff aus marinen Sedimenten
Die Kohlenstoffspeicherkapazität von marinen Sedimenten kann durch menschliche Eingriffe wie Grundschleppnetzfischerei oder Baggerarbeiten zur Sand- und Kiesentnahme oder zur Vertiefung von Fahrrinnen erheblich beeinträchtigt werden. Durch das Aufwirbeln werden Treibhausgase (CO2, CH4) direkt in die Wassersäule entlassen. Zudem wird Sauerstoff in sauerstoffarme Tiefen des Sedimentes eingebracht, wodurch die Abbauprozesse von Kohlenstoff stimuliert werden. Die Europäische Kommission schätzt, dass in Europa 79% des küstennahen Meeresbodens durch Grundschleppnetzfischerei gestört werden.

Biogene Riffe
Biogene Riffe werden von Meerestieren aufgebaut. In der Nord- und Ostsee bilden Miesmuscheln, die Europäische Auster und die eingewanderte Pazifische Auster sowie ein Röhren bildender und bewohnender Wurm (Sabellaria sp.) biogene Riffe. Diese teilweise früher sehr ausgedehnten Riffökosysteme sind wichtiger Lebensraum für viele andere Tiere und Pflanzen. Die Riffe könnten auf vier Weisen zur Kohlenstoffspeicherung beitragen:
- Verstärkte Sedimentation von anderem organischen Material über den Riffstrukturen, da diese zu einer Verlangsamung von Strömungen führen
- Schutz des Sediments vor Aufwirbelung und damit verbundener CO2-Freisetzung.
- Sedimentation von leeren Muschelschalen, die dann im Sediment eingeschlossen und erstmal nicht zersetzt werden
- Absinken von Ausscheidungen der Muscheln und Einschluss im Sediment.
Allerdings gibt es in Muschelriffen auch Prozesse (v.a. Atmung und Schalenbildung), die zu einer CO2-Freisetzung führen. Die Nettobilanz ist noch nicht bekannt und wird auch saisonal und lokal variieren. Wegen dieser Wissenslücken und Unsicherheiten sind biogene Riffe derzeit noch nicht als Blue Carbon-Ökosysteme anerkannt.
Zustand biogener Riffe
Die Sabellaria-Riffe sind durch menschliche Eingriffe im deutschen Wattenmeer vollkommen verschwunden; 1990 wurde vor Amrum das letzte Sabellaria-Riff in Schleswig-Holstein gemeldet und 2010 verschwand das letzte Riff in Niedersachsen im Zuge der Ausbaggerungen für den Jade-Weser-Port. Die großen Austernbänke der Europäischen Auster in der Nordsee sind durch Übernutzung vollkommen verschwunden.

Algenwälder
Die Bedeutung der Tangwälder, also Wälder aus Braunalgen, für den Klimaschutz ist noch nicht genau bekannt. Der Zuckertang (Saccharina latissima) ist die größte heimische Braunalge und kann bis zu 4 m lang werden. Sie bildet teilweise große Bestände, vor allem auf dem Felssockel der Insel Helgoland. Andere heimische Braunalgen wie der Blasentang (Fucus vesiculosus) oder der Sägetang (Fucus serratus) sind deutlich kleiner, können aber großflächige, dichte Bestände ausbilden. Sie können den von ihnen gebundenen Kohlenstoff nicht direkt im Untergrund einlagern (wie es bei den Seegräsern der Fall ist), denn Braunalgen besitzen keine Wurzeln und wachsen auf felsigem Untergrund. Stattdessen wird loses oder abgestorbenes Algenmaterial von den Meeresströmungen verfrachtet. Es wird an die Küsten gespült oder in die Tiefe transportiert, wo ein Teil dann im Meeresboden eingelagert wird. Außerdem geben Braunalgen auch Exsudate mit langlebigen Kohlenstoffverbindungen ab, die ohne weitere Zersetzung absinken und im Sediment eingeschlossen werden. Damit kann der darin enthaltene Kohlenstoff langfristig gespeichert werden.
Zustand der Algenwälder
Die Braunalgenbestände in der deutschen Ostsee und Nordsee sind in den letzten Jahrzehnten dramatisch geschrumpft. Die genauen Ursachen sind nicht immer bekannt, aber Eutrophierung und Temperaturerhöhung scheinen eine wesentliche Rolle zu spielen.
