Auswirkungen, Gefahren und Bedeutung
Auswirkungen und Gefahren
Etwa 10% der etablierten gebietsfremden Arten können jedoch naturschutzfachliche Probleme bereiten und/oder wirtschaftliche Schäden verursachen, z.B. die Minderung von Ernten, erhöhten Pestizideinsatz in Land- und Forstwirtschaft oder erhöhte Kosten bei der Instandhaltung von Straßen, Wasser- und Schienenwegen. Der Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum) und die Beifußblättrige Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia) enthalten zudem Stoffe, die Verbrennungen oder Allergien beim Menschen verursachen können. Durch den Klimawandel wird es aber wahrscheinlich zu einer deutlichen Verschärfung der Probleme durch invasive Arten kommen.
Im Bereich des Naturschutzes gelten invasive Arten weltweit nach der Habitatzerstörung als die zweitgrößte Gefährdung der Biologischen Vielfalt. Sie können dabei auf fünf verschiedenen Ebenen zum Naturschutzproblem werden:
Am unmittelbarsten treten invasive Arten in Konkurrenz um Lebensraum und Ressourcen mit den einheimischen Arten. Sie können dadurch spezifisch einzelne Arten verdrängen (z.B. die neophytische Kartoffel-Rose, Rosa rugosa die Bibernell-Rose, Rosa spinoissima in Dünen Norddeutschlands) oder ganze Artengemeinschaften (z.B. Reinbestände von Staudenknöterichen an Bachufern).
Invasive Arten können als Fressfeind einheimische Arten gefährden (z.B. die gebietsfremde Bisamratte, Ondatra zibethicus, die Bachmuschel, Unio crassus).
Weniger offensichtlich und oftmals nur mit Labormethoden nachweisbar sind Einkreuzungen der Gene gebietsfremder Arten in einheimische Arten (z.B. durch die Schwarzkopfruderente, Oxyura jamaicensis in die Weißkopfruderente, Oxyura leucocephala oder durch Gartenformen der Gemeinen Akelei, Aquilegia vulgaris). Dies führt zu einer schleichenden genetischen Veränderung der Art, an deren Ende die einheimische Art mehr oder weniger verändert bzw. durch die gebietsfremde Art "ersetzt" wird.
Die gebietsfremde Art ist ein Parasit oder überträgt Krankheiten oder Organismen; dies führt zu einer Gefährdung einheimischer Arten. Z.B. hat sich die Einbringung amerikanischer Flusskrebse (u.a. Roter Sumpfkrebs, Procambarus clarkii) in unsere Gewässer als äußerst problematisch erwiesen. Sie sind Überträger der "Krebspest", eine durch einen parasitischen Pilz ausgelöste Infektionskrankheit, gegen die sie selbst immun sind, die jedoch für die einheimischen Flusskrebsarten (z.B. Edelkrebs, Astacus astacus) tödlich ist. Manche Parasiten sind auch für den Menschen gefährlich (z.B. der mit Waschbären eingeschleppte Spulwurm, Baylisascaris procyonis).
Gebietsfremde Arten können auch Ökosystemeigenschaften (z.B. Wasserhaushalt, Vegetationsstrukturen) oder ökosystemare Prozesse (z.B. Nährstoffdynamik, Sukzessionsabläufe) eines Lebensraums so grundlegend verändern, dass einheimische Arten gefährdet werden. So wandert die Robinie (Robinia pseudoacacia) in brachfallende Halbtrockenrasen ein und begünstigt durch ihre Stickstoffanreicherung im Boden weitere Arten, die Halbtrockenrasenarten verdrängen.
Bedeutung
Insgesamt kommt invasiven Arten - wie auch gebietsfremden Arten allgemein - in der Wissenschaft, im Recht und auch im Naturschutz in den letzten Jahren eine zunehmende Bedeutung zu. Dies gilt in besonderem Maße für die USA und für Europa, aber vor allem auch für viele Inselstaaten wie Neuseeland, in denen gebietsfremde Arten schwerwiegende Probleme verursachen.
So hat es im Zuge der Biodiversitätskonvention (CBD), besonders seit 1996, weltweit zahlreiche Initiativen zu invasiven gebietsfremden Arten gegeben, wie das "Global Invasive Species Program" (GISP). Dies wird von verschiedenen wissenschaftlichen, staatlichen und privaten Einrichtungen getragen und hat in der ersten Phase die Basis für eine internationale Koordination geschaffen und grundlegende Materialien erarbeitet. Auch in Deutschland wird der „Invasionsbiologie“ in den letzten Jahren zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt, z.B. durch die Gründung der Arbeitsgemeinschaft NEOBIOTA 1999.
Auf der sechsten Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitäts-Konvention im Jahre 2002 wurde auf Grundlage des Vorsorgeprinzips ein umfangreicher Maßnahmenkatalog als Muster für nationale Umsetzungsstrategien verabschiedet ("Guiding Principles on Invasive Alien Species"). Die ebenfalls dort angenommene "Global Strategy for Plant Conservation" hat Managementpläne für mindestens 100 der naturschutzrelevantesten Pflanzenarten zum Ziel (Ziel 10).
Auch die unter dem Dach von Planta Europa erarbeitete "European Plant Conservation Strategy" beinhaltet neben dem langfristigen Ziel eines umfassenden institutionellen, politischen und rechtlichen Rahmens für invasive Pflanzenarten die Erstellung von nationalen Übersichten aller invasiven Arten einschließlich deren Verbreitung, Biologie sowie ökologischen und ökonomischen Auswirkungen. Für die 100 wichtigsten Arten sollen Kontrollmaßnahmen etabliert werden. Alle Daten sollen in die internationale Internet-Datenbank von GISP einfließen (Ziele 2.21, 2.22 und E36).
Exkurs: Sicherung innerartlicher Vielfalt durch gebietseigene Herkünfte
Neben der Vielfalt von Arten und Ökosystemen umfasst die Biologische Vielfalt auch die genetische Vielfalt. Diese innerartliche Vielfalt entsteht durch genetische Unterschiede auf der Ebene einzelner Populationen und Individuen, die zu einer Differenzierung von Unterarten, Varietäten und Ökotypen führen. Sie äußert sich in einer räumlich differenzierten Anpassung von Populationen an unterschiedliche ökologische Bedingungen. Die natürlicherweise vorhandene genetische Vielfalt ist daher eine wesentliche Voraussetzung, damit einheimische Arten auf Umweltveränderungen – etwa durch den Klimawandel – besser reagieren und sich anpassen können. Der Verlust genetischer Vielfalt ist damit genauso bedeutsam wie der Verlust ganzer Arten. Die Sicherung der natürlichen genetischen Vielfalt stellt daher ein wichtiges Ziel in der Biodiversitätskonvention (CBD) und im Bundesnaturschutzgesetz dar (Recht).
Jährlich werden in Deutschland über 150 Mio. Sträucher und Bäume in Siedlungen und freier Natur ausgebracht. Bei Pflanzungen in der freien Natur werden zwar überwiegend einheimische Arten verwendet, deren Herkünfte aber größtenteils aus Südosteuropa stammen. Im Bereich des Saatgutes sind es ebenfalls tausende Tonnen jährlich, die u.a. aus Neuseeland und Nordamerika für eine Verwendung in den deutschen Landschaften importiert werden.
Soll eine Pflanzung, z.B. im Rahmen von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, erfolgreich sein und nicht zu einer Beeinträchtigung der einheimischen Biodiversität führen, ist es jedoch erforderlich, dass die Art standortgerecht und naturraumtypisch ist. Neben der Auswahl der richtigen Art spielt dabei auch die Herkunft der Pflanzen eine entscheidende Rolle. Mangelnde Anpassung an die regionalen Verhältnisse kann zudem ökonomische Auswirkungen nach sich ziehen, wenn Ansaat oder Pflanzung nicht den gewünschten Erfolg haben. Entsprechende Erfahrungen bei Wirtschafts-Baumarten (z.B. Fichte oder Kiefer) führten daher bereits früh zu gesetzlichen Regelungen in der Forstwirtschaft. Danach müssen dort bei rund 20 Baumarten die Herkünfte beim Anbau berücksichtigt werden.
Um die genetische Vielfalt innerhalb von Pflanzenarten weitergehend zu sichern, wurde im § 40 Abs. 4 BNatSchG festgelegt, dass in der freien Natur Gehölze und Saatgut zunächst vorzugsweise nur innerhalb ihrer Vorkommensgebiete ausgebracht werden sollen; ab dem 2. März 2020 gilt dies verbindlich.
Neobiota und Naturschutz
Zur Bewertung von Neobiota durch den Naturschutz und möglicher Auswirkungen, Gefahren und Maßnahmen sollten folgende Aspekte berücksichtigt werden.
Bewertung von Neobiota
6 Aspekte für Bewertung von Neobiota
Neobiota tragen in Europa und speziell auch in Deutschland derzeit in deutlich geringerem Umfang zur Bedrohung der Artenvielfalt bei als z.B. auf lange isolierten tropischen Inseln.
In Deutschland sind die Hauptgefährdungsfaktoren für einheimische Arten unmittelbare Einwirkungen wie Jagd, Sammeln oder die Zerstörung von Standorten, für die die Organismen grundsätzlich keine Anpassungsstrategien entwickeln können. Im Gegensatz dazu können einheimische Arten auf neue eingeführte oder eingeschleppte Arten im Einzelfall mit systemimmanenten Regelungsmechanismen reagieren bzw. diese langfristig evolutionär entwickeln (wie z.B. neue Räuber-Beute bzw. Parasiten-Wirt Beziehungen oder zwischenartliche Konkurrenz). Trotzdem ist die Einbringung neuer Arten wegen der nicht sicher vorhersagbaren Auswirkungen im Sinne des Vorsorgeprinzips (s. unten) grundsätzlich abzulehnen.
Die meisten gebietsfremden Arten verursachen keinerlei ökologische, ökonomische oder andere Schäden. So haben von 441 in Deutschland etablierten Neophyten (Gefäßpflanzen) 46 Arten (also ca. 10%) negative Auswirkungen auf die einheimische Natur oder den Menschen bzw. seine Aktivitäten. Ähnlich sieht es bei den Neozoen aus: aktuell sind ca. 450 Neozoen-Arten bei uns etabliert, rund 10% gelten als invasiv.
Viele der vom Naturschutz besonders beachteten, seltenen oder gefährdeten Rote-Liste-Arten sind erst durch menschliche Aktivitäten seit dem Neolithikum zu uns gekommen (sog. Archäophyten bzw. Archäozoen). Die gebietsfremden Arten aus dieser Zeit (= alteingebürgerte Arten) sind also zu "wertvollen" Arten des aktuellen Naturschutzes geworden. Da Archäobiota in Mitteleuropa traditionsgemäß den einheimischen Arten gleichgestellt werden, sollten sie - auch wenn das Bundesnaturschutzgesetz dies nicht explizit vorsieht - ebenfalls gegen Bedrohungen durch Neobiota geschützt werden.
Mit der Beurteilung gebietsfremder Arten ist somit immer eine normative, auf individuellen oder gemeinschaftlichen Wertmaßstäben beruhende Bewertung verbunden.
Wegen der langen Landnutzungstradition in Mitteleuropa ist der Naturschutz nicht nur auf natürliche Lebensräume und einheimische Arten begrenzt, sondern umfasst auch menschengemachte Lebensräume (wie Äcker, Magerrasen und Wiesen) und gebietsfremde Arten (z.B. die Archäobiota; vgl. oben).
Aus Naturschutzsicht sind Neobiota problematisch, wenn sie andere Arten oder Lebensräume gefährden, Naturhaushaltsfunktionen beeinträchtigen oder das Landschaftsbild unerwünscht verändern. Darüber hinaus gibt es weitere Arten, die auf Landwirtschaftsflächen, in Forsten und im Siedlungsbereich wirtschaftliche oder auch gesundheitliche Probleme verursachen, ohne dass damit Naturschutzkonflikte verbunden sind.
Für Gegenmaßnahmen - aber auch für Haftungsfragen - sind daher oft andere Bereiche als der Naturschutz zuständig (z.B. Pflanzenschutz-, Forstbehörden, Gartenbauämter), mit denen sich für den Naturschutz neue Partnerschaften entwickeln können.
Die Entscheidung, wann eine gebietsfremde Art Naturschutzhandeln erforderlich macht, kann daher nur auf der Basis einer Einzelbewertung erfolgen. Diese muss berücksichtigen:
- die artspezifischen Auswirkungen der gebietsfremden Art
- die Rahmenbedingungen des betroffenen Ökosystems: Handelt es sich z.B. um naturnahe oder anthropogene Vegetation? Ist die gebietsfremde Art Ursache der Naturbeeinträchtigung oder Folge von Veränderungen (z.B. Einwandern von Neophyten nach Brachfallen von Magerrasen)?
- die konkreten Naturschutzziele vor Ort: Sollen seltene oder bedrohte Arten oder ein bestimmter Zustand bewahrt werden oder sind freie Entwicklungsprozesse erwünscht?
Auf Grundlage dieser naturschutzfachlichen Kriterien kann schließlich über erforderliche Maßnahmen entschieden werden. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob Erfolg versprechende Gegenmaßnahmen bekannt sind. Dann ist zu entscheiden, ob der notwendige Mitteleinsatz im konkreten Einzelfall gerechtfertigt ist, d.h., die Effizienz für die zu erwartenden Ergebnisse ist abzuschätzen.
Da viele Bekämpfungsmaßnahmen bisher erfolglos blieben, kommt es besonders darauf an, die oft unterschätzte Durchführung von Maßnahmen im gebotenen Umfang sicherzustellen (technischer, finanzieller, personeller und zeitlicher Rahmen). Schließlich sind die beabsichtigten Maßnahmen auf ihre Vereinbarkeit mit allgemeinen und gebietsspezifischen Naturschutzzielen zu prüfen (Akzeptanz bei der Bevölkerung, schädigende Auswirkungen auf andere Arten oder Ökosysteme o.ä.). Dabei sollten Maßnahmen grundsätzlich nur dann erfolgen, wenn gewährleistet ist, dass der entsprechende Lebensraum anschließend wieder in einen stabilen ökologischen Zustand überführt wird bzw. dessen langfristige Erhaltung in diesem Zustand gesichert ist (Schutzgebietsausweisung, Pflege o.ä.).
Auch wenn davon auszugehen ist, dass die meisten Neobiota, die in unserem Klimagebiet leben und sich fortpflanzen können, bereits ihren Weg nach Deutschland gefunden haben, werden zukünftig weitere Arten als "blinde Passagiere" oder bewusst eingeführte Zier- und Nutzpflanzen bzw. Haus- und Nutztiere zu uns gelangen. Mit dem voranschreitenden Klimawandel, der die Verbreitung von Arten bereits heute nachweislich beeinflusst, ist zukünftig sogar mit einer erneuten Verstärkung der Dynamik gebietsfremder Arten zu rechnen.
Welche Arten sich in welcher Geschwindigkeit und mit welchen Folgen bei uns ausbreiten werden, ist vorausschauend kaum sicher zu beantworten. Dies gilt für neu auftretende Arten ebenso wie bereits in Deutschland vorkommende seltene oder "unauffällige" Neobiota. Daher sollte nach dem Vorsorgeprinzip die Ausbringung gebietsfremder Arten in die freie Natur möglichst unterbleiben.
Sofern besondere Gründe für die Verwendung gebietsfremder Arten sprechen, muss geprüft werden, ob hierdurch eine Gefährdung der einheimischen Tier- und Pflanzenwelt besteht. Sinnvoll ist es zudem, beginnende Ausbreitungsprozesse oder sich abzeichnende Konsequenzen frühzeitig zu beobachten, um möglichst rasch prüfen zu können, ob Gegenmaßnahmen angebracht sind. Dies gilt besonders, wenn z.B. bestimmte biologische Merkmale für ein besonderes Ausbreitungspotenzial sprechen oder die Art aus anderen Gebieten bereits als invasiv bekannt ist.
Auch der Beobachtung bereits bei uns vorhandener gebietsfremder Arten muss eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Der Bereitstellung bzw. dem Austausch von entsprechenden Informationen kommt somit eine Schlüsselstellung zu, wozu dieses Webangebot einen Beitrag leisten möchte.