Ökosystemleistungen
Ökosystemleistungen von Auen und Fließgewässern
Der Auenzustandsbericht von 2021 verdeutlicht jedoch den alarmierenden Zustand unserer Auenlandschaften: nur 9 Prozent der noch vorhandenen Flussauen sind in einem naturnahen Zustand, zwei Drittel der ehemaligen Flussauen stehen bei Hochwasser nicht mehr als Überschwemmungsflächen zur Verfügung.
Allerdings bieten nur intakte Auenlandschaften die ganze Bandbreite an Ökosystemleistungen. Sie können beispielsweise beachtliche Wassermengen aufnehmen und auf diese Weise Hochwasserwellen abschwächen. Das Wasser kann sich auf Wiesen und in Wäldern ausbreiten, so dass die Schäden für den Menschen vermieden oder zumindest verringert werden können.
In der Studie "Ökonomische Bewertung naturverträglicher Hochwasservorsorge an der Elbe" wurde eine Methodik erarbeitet, die den ökonomischen Nutzen von verschiedenen Ökosystemfunktionen erfasst: die Funktion der Auen als Lebensraum für Pflanzen und Tiere, als Erholungsraum für die Menschen, als Rückzugsfläche für Hochwasser und als Filter für Schadstoffe. Dabei konnte nachgewiesen werden, dass der monetäre Wert des ökologischen und ökonomischen Nutzens naturverträglicher Hochwasserschutzmaßnahmen dreimal so hoch ist wie ihre Kosten - Deichrückverlegungen und Auenrenaturierungen rechnen sich also auch volkswirtschaftlich.
Ökonomische Bewertung einzelner Ökosystemleistungen
Eine ökonomische Bewertung der vielfältigen Ökosystemleistungen von Auen sollte in Zukunft in Planungs- und Entscheidungsprozesse einbezogen werden, insbesondere bei Planungsentscheidungen zum Bau von Hochwasserschutzanlagen oder sonstigen Maßnahmen zum Hochwasserschutz.
Hochwasser sind natürliche Ereignisse, welche je nach Abflussregime regelmäßig, meist zu bestimmten Jahreszeiten vorkommen. In den letzten Jahrzehnten haben Hochwasser jedoch an Häufigkeit und Heftigkeit zugenommen und damit auch der wirtschaftliche Schaden für die Gesellschaft.
Die Ursachen hierfür sind neben vermehrt auftretenden Starkniederschlägen vor allem der Verlust an natürlichen Überflutungsflächen, die Begradigung von Flüssen und die Versiegelung von Flächen. Der Mensch hat durch diese massiven Eingriffe in die Natur die Hochwassergefahr und das Schadenspotential stark erhöht. Durch Begradigungen, Deiche und Dämme wurden viele natürliche Überschwemmungsgebiete vom Fluss getrennt. Das Wasser hat dadurch nicht nur weniger Fläche um sich auszubreiten, es nimmt auch beachtlich an Geschwindigkeit und Kraft zu. So fließt z. B. im Rhein eine Hochwasserwelle heute in 23 Stunden von Basel nach Karlsruhe – 1955 brauchte sie dazu noch 64 Stunden.
Natürliche oder naturnahe Auen verändern den zeitlichen Ablauf des Hochwassers durch die Bremswirkungen der Vegetation und die Rauheit der Geländeoberfläche, und sie können große Wassermengen aufnehmen. Hochwasserwellen können dadurch deutlich abgeflacht und verzögert werden. Nach der Deichrückverlegung im Naturschutzgroßprojekt "Lenzener Elbtalaue" lag der Hochwasserscheitel der Elbe nach Messungen der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) in der Stadt Schnackenburg beim Hochwasser von 2011 um mehr als 20 cm unter dem Pegelstand des Hochwassers von 2006 (vor der Deichrückverlegung). Auen bieten also einen ganz natürlichen Hochwasserschutz.
Der monetäre Wert eines solchen natürlichen Hochwasserschutzes lässt sich jedoch nur schwer messen. Aber er lässt sich aus vermiedenen Schäden oder den Kosten technischer Ersatzlösungen ableiten. Bei einer Rückgewinnung von 15 % der ehemaligen Überflutungsflächen an der Elbe würden die vermiedenen Hochwasserschäden nach konservativen Schätzungen durchschnittlich 6 Millionen Euro pro Jahr betragen.
Menschen siedelten seit jeher gerne am Wasser - viele der großen Städte in Deutschland liegen an Flüssen wie Rhein, Donau und Elbe. Am Wasser fühlen wir uns besonders wohl - die Mehrheit der Deutschen (86 %) hält sich gerne an Flüssen auf. Eine schöne Landschaft, frische Luft, Wohnen im Grünen oder am Wasser können den Wert einer Wohnung, eines Stadtviertels oder einer Region steigern. Die Bedeutung von Freiräumen und Grünflächen für die Qualität eines Standortes drückt sich durchaus auch in den Preisen für Grundstücke und Immobilien aus. Städte und Regionen, die an einem Fluss liegen, besitzen einen Standortvorteil meinen 70 % der Deutschen.
Tourismus und Erholung sind auch an Flusslandschaften von großer Bedeutung, insbesondere als Naherholungsgebiete rund um Städte und Ballungszentren. Freizeit- und Sportaktivitäten, wie z. B. Jogging, Picknicken, Mountainbiking, Schwimmen und Wassersport sind typische Aktivitäten in und um Auen. 2008 unternahmen allein an der Elbe 145.000 Deutsche eine Urlaubsreise mit dem Fahrrad und gaben 83,5 Millionen Euro aus. Inzwischen wurde der Elberadweg 2016 in Umfragen des ADFC zum 12. Mal in Folge zum beliebtesten Radfernweg gewählt. Gefolgt vom Weserradweg und RuhrtalRadweg auf den Plätzen 2 und 3. Auch der Kanutourismus verzeichnete in den letzten Jahren ein hohes Wachstum, seit 1990 hat sich die Anzahl der gewerblichen Anbieter in diesem Bereich mehr als verdreifacht, der jährliche Bruttoumsatz des Kanutourismus liegt bei knapp 846 Millionen Euro im Jahr.
Die Schönheit der Flussauen liegt aber nicht nur den Wassersportler*innen am Herzen. In renaturierten Gebieten wird für alle Menschen eine vielfältige Flusslandschaft mit Schleifen, Buchten, Inseln und Sandbänken zum Erlebnis. Auch die Rückkehr von beliebten und selten gewordenen Tierarten, wie beispielsweise dem Storch, zieht Besucher an. Die Entwicklung der „Lenzener Elbtalaue“ zu einer naturnahen Auenlandschaft zieht immer mehr Interessierte in die Region, Führungen und Exkursionen finden nun regelmäßig statt.
Die wissenschaftliche Erfassung des ökonomischen Werts von Auen kann durch verschiedene Methoden erfolgen: Bei einer umfragebasierten Methode werden betroffene Personen direkt nach ihrer Wertschätzung für eine Verbesserung oder die Abwehr einer Verschlechterung befragt (Kontingente Bewertung) oder es werden explizit einzelne Attribute einer Umweltveränderung bewertet und nicht die Veränderung als Ganzes (Choice Experimente). Mit der Reisekostenmethode wird eine indirekte Erfassung der Erholungsfunktion durch Analysen der Beziehung zwischen Reisekosten der Erholungssuchenden und Besuchshäufigkeit vorgenommen.
Nährstoffe, wie z. B. Stickstoff, Phosphor, Schwefel und Kalium sind Grundvoraussetzung für die Existenz von Leben. Der Nährstoffkreislauf sorgt dafür, dass sie auf allen Ebenen der Nahrungskette verfügbar sind. Durch eine Überversorgung mit Nährstoffen, wie z. B. in Gebieten mit intensiver landwirtschaftlicher Nutzung, werden natürliche Ökosysteme jedoch in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtigt, zudem werden Grund- und Oberflächengewässer belastet.
Auen und andere Feuchtgebiete filtern das Wasser und halten den Wasserhaushalt im Gleichgewicht, sie fungieren gewissermaßen als „Nieren der Landschaft“. Dadurch wird nicht nur das Wasser in Bächen und Flüssen gereinigt, es gelangen auch weniger Nährstoffe in Nord- und Ostsee. Bestimmte Mikroorganismen sind in der Lage Nitrat zu elementarem Stickstoff (N2) umzuwandeln. Diese Mikroorganismen finden in Feuchtgebieten optimale Lebensbedingungen. Durch den biologischen Prozess der Denitrifikation wird das Nitrat im Wasser wieder in den Stickstoffkreislauf der Atmosphäre zurückgeführt. Dieser Stickstoffentzug entlastet die Gewässer und Böden erheblich. Wenn das Flusswasser über die Ufer tritt, lagern sich die mitgeführten Sedimente am Boden ab. Auf diese Weise wird auch Phosphor, der sich im Sediment anreichert, dem Flusswasser entzogen und von Pflanzen in den Überflutungsgebieten aufgenommen. In entwässerten Auen, die nicht mehr überflutet werden, ist die Nährstoffrückhaltefunktion deutlich geschwächt.
Flussauen verringern folglich die Stickstoff- und Phosphorfracht von Flüssen und sorgen für eine Verbesserung der Wasserqualität. So wurde z.B. berechnet, dass durch die Schaffung von 15.000 Hektar zusätzlicher Rententionsfläche entlang der Elbe die Stickstofffracht der Elbe um rund 3.300 Tonnen pro Jahr reduziert werden kann. Das entspricht einem monetären Wert von 8,25 Millionen Euro pro Hektar und Jahr. Dieser Betrag ergibt sich aus den ansonsten anfallenden Kosten für eine angepasste Landbewirtschaftung (Dehnhardt et al. 2002 in "Gewässer und Auen - Nutzen für die Gesellschaft"). Bundesweite Abschätzungen zeigen, dass die 79 Flussauen der größeren Flüsse Deutschlands jährlich bis zu 42.000 Tonnen Stickstoff und über 1.000 Tonnen Phosphor zurückhalten können. Für ähnlich wirkungsvolle Maßnahmen in der Landwirtschaft müsten hierfür jährlich rund 500 Millionen Euro aufgebracht werden (Schulz-Zunkel et al. 2012 in NaBiV Heft 124). Intakte Flussauen tragen also erheblich zur Reinhlatung der Gewässer bei und erbringen damit Kosteneinsparungen für alternative Maßnhamen in Millionenhöhe.