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Bundesamt für Naturschutz

Coenonympha oedippus - Moor-Wiesenvögelchen

Geschützt nach
Anhang II FFH-Richtlinie
Anhang IV FFH-Richtlinie
EU-Code
1071
Artengruppierung
Schmetterlinge
Synonyme
Verschollenes Wiesenvögelchen, Stromtal-Wiesenvögelchen, Erzstreif-Wiesenvögelchen, Flachmoor-Graskleinaugenfalter
Status Rote Liste Deutschland
(Reinhardt, R. & Bolz, R. 2011): 1 (Vom Aussterben bedroht)
Status Rote Liste Europa
(van Swaay et al. 2010): EN (Stark gefährdet)

Beschreibung

Verschollen und wieder aufgetaucht

Der letzte Nachweis des Moor-Wiesenvögelchens in Deutschland stammte von 1960. Es galt somit also seit vielen Jahrzehnten offiziell als ausgestorben! Daher war die Wiederentdeckung in Bayern durch M. Schwibinger 1996 eine echte Sensation und ein seltener Glücksfall. Der Fund wurde trotzdem lange geheim gehalten, um Begehrlichkeiten durch Sammler vorzubeugen. Auf die genaue Fundortnennung und Kartendarstellung wird auch hier aus Schutzgründen verzichtet. Das entdeckte Vorkommen ist nach wie vor sehr klein, es besteht aus wenigen Tieren auf kleiner Fläche. Aufgrund eines Forschungsprojektes der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL) wird die Biologie des Moor-Wiesenvögelchens nun besser verstanden (Bräu et al. 2010) und es besteht Hoffnung, dass die Situation der Art verbessert werden kann.

Lebensraum

Bei dem Lebensraum des verbliebenen Vorkommens handelt es sich um sekundäre Pfeifengraswiesen eines ehemaligen Torfabbaugebietes, die in feuchten Senken in Kleinseggen- und Kopfbinsenbestände übergehen.

Ein Schlüsselfaktor für das Vorkommen ist die Art und Beschaffenheit der Streuschicht; sie muss kräftig entwickelt sein. Der Anteil der von oben sichtbaren Streu muss im April/Mai wenigstens 50 % ausmachen. Neben der ausgeprägten Streuschicht ist eine lückige Pflanzendecke mit einem ausgeprägten dreidimensionalen Aufbau notwendig, dies können insbesondere einzelne Grasbulte oder kleine Geländekanten sein. Dieser Aufbau der Pflanzendecke entsteht nur, wenn die Flächen weitgehend ungenutzt sind und nicht gemäht werden.

Fortpflanzung/Biologie

Ökologie der Art

Das Moor-Wiesenvögelchen lebt in seinem letzten Vorkommen in Deutschland auf sekundären Pfeifengraswiesen eines ehemaligen Torfabbaugebietes, die in feuchten Senken in Kleinseggen- und Kopfbinsenbestände übergehen. Vorkommen in den europäischen Nachbarländern finden sich auch in vordergründig sehr unterschiedlichen Lebensräumen. Allen Standorten ist aber gemeinsam, dass es sich um (z.T. sehr langjährige) Brachen handelt, die eine ausgeprägte Streuschicht und eine lückige, z.T. bultige Pflanzendecke aufweisen.

Die aktuellen Untersuchungen haben gezeigt, dass den Raupen schon im zeitigen Frühjahr Futterpflanzen zur Verfügung stehen müssen (Bräu et al. 2010). Das an den Standorten häufige und weit verbreitete Pfeifengras, das als Nahrungspflanze vermutet wurde, hat zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgetrieben und kann daher nicht genutzt werden. Es muss also eine Übergangsnahrung vorhanden sein, die den Winter grün überdauert. Für das deutsche Vorkommen ist dies v.a. die Hirse-Segge (Carex panicea). Dieser Nahrungspflanze kommt somit im Frühjahr eine essentielle Bedeutung zu, später wird auch das Pfeifengras häufig gefressen.

Beschreibung des Lebenszyklus im Zusammenhang mit Landnutzungsaktivitäten

Die Falter fliegen hauptsächlich im Juni bis etwa Mitte Juli in einer Generation. Während dieser Zeit erfolgt die Eiablage der Weibchen vorrangig an Gräsern oder Streu, einzelne Eiablagen wurden sogar an Faulbaum und anderen Pflanzen beobachtet (Bräu et al. 2010). An einem Standort in Italien wurden Eiablagen regelmäßig an Heidekraut festgestellt (Bonelli et al. 2010). Dies dürfte durch den dortigen Lebensraum bedingt sein, in dem Heidekraut und Pfeifengrasbestände eng verzahnt sind. Diese Beobachtung und die Daten aus Deutschland deuten darauf hin, dass die Eiablagepflanze relativ zufällig gewählt wird: Die Pflanze, die häufig ist, hat auch gute Chancen ein Ei angeheftet zu bekommen, sogar wenn sie als Raupennahrung völlig unbrauchbar ist, wie z.B. das Heidekraut.

Die Eier werden einzeln abgelegt. Bei der Eiablage wurden zwei Typen festgestellt, die vermutlich temperaturabhängig sind. Die meisten beobachteten Eiablagen erfolgten in etwa 20-30 cm Höhe über dem Boden an die grünen Blätter der Pflanzen (Pfeifengras, Hirse-Segge). Beim zweiten Typ werden die Eier dicht über dem Boden in der Streuschicht abgelegt. Die Eiablage erfolgt hauptsächlich an gut besonnten Pflanzen.

Die hellgrünen Raupen schlüpfen nach etwa 10-19, im Schnitt 14 Tagen Ende Juli (Drews 2003). Am deutschen Standort wurde Fraß an Hirse-Segge und Pfeifengras beobachtet (Bräu et al. 2010). Die kleinen Raupen überwintern dann und verfärben sich, unabhängig von einer Häutung, gelblich-bräunlich. Im Zuchtversuch unter Freilandbedingungen waren sie im Herbst bei gutem Wetter noch sehr lange aktiv. Nach der Überwinterung, an den ersten warmen Tagen etwa Ende März bis Anfang April werden die Raupen wieder aktiv und benötigen Nahrung. Das Pfeifengras ist zu dieser Jahreszeit völlig vertrocknet und hat noch nicht neu nachgetrieben. Daher kommt nun der Hirse-Segge, die grün überwintert, eine Schlüsselrolle zu.

Die gesamte Entwicklung des Moor-Wiesenvögelchens ist somit auf eine lang anhaltende und stabile Brachesituation der Lebensräume angewiesen. Die notwendige Streu und der bultige Aufbau entstehen erst durch eine mehrjährige Brachephase. Gleichzeitig darf das Gehölzaufkommen nicht zu stark sein, sondern sollte auf einem sehr geringen Niveau verharren bzw. muss durch Nutzung oder Pflege dort gehalten werden. Nur bei nahezu voller Besonnung lassen sich die hohen Wärmebedürfnisse des Moor-Wiesenvögelchens erfüllen. Zusätzlich werden Gehölze jedoch als Abschirmung und Windschutz z.B. am Rand der Flächen benötigt, da die Art wenig flugstark ist.

Lokale Population

Abgrenzung der lokalen Population

In Deutschland gibt es nur noch ein Vorkommen, dieses ist auf drei räumlich benachbarte Flächen beschränkt, die in der Summe 1,1 ha umfassen (Bräu et al. 2010). Man kann hier von einer lokalen Population ausgehen, wobei zwischen zwei Flächen ein regelmäßiger Austausch von Einzeltieren anzunehmen ist, während der Austausch mit der dritten Fläche vermutlich selten erfolgt. Die Größe des Vorkommens wird seit der Entdeckung durch Transektzählungen verfolgt und unterliegt starken Schwankungen. Die Jahresmaxima der Zählungen liegen zwischen 26 und 129 Faltern.

Die Gesamtgröße des Vorkommens wird in guten Jahren auf maximal etwa 300 Tiere geschätzt. Bei Markierungsversuchen wurde die Größe des jeweils untersuchten Vorkommens in Italien 2005 und 2006 auf ca. 1400 bzw. 2100 Tiere geschätzt (Bonelli et al. 2010), in Ungarn 2005-2007 auf 137 bis 273 Tiere (Örvössy et al. 2010). Die Abschätzungen für das deutsche Vorkommen und die Daten aus Ungarn markieren vermutlich die Untergrenze eines über mehrere Jahrzehnte gesicherten Vorkommens.

Gefährdung

Gefährdungsursachen

Eine Bewirtschaftung der Flächen des einzigen aktuellen deutschen Vorkommens findet nicht statt; ein Nutzungsinteresse ist auch in Zukunft nicht zu erwarten. Eine Gefährdung besteht dennoch:

Land- und Forstwirtschaft

  • Aufwuchs von Gehölzen (v.a. durch Faulbaum), dies betrifft vorrangig einen Teillebensraum
  • Die Verschilfung ist auf den angestammten Flächen bislang sehr locker und spielt als Gefährdungsfaktor derzeit keine Rolle, muss auf Erweiterungsflächen jedoch im Zaum gehalten werden
  • Evtl. langfristig durch Torfveratmung im entwässerten ehemaligen Moor, welches heute von intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen umgeben ist

Sonstige

  • Isolation, geringe Populationsgröße und kleinste Lebensräume im Bereich von seit langem aufgelassenen Torfstichen in einem ehemaligen Quellmoor
  • Zufallsereignisse (Unwetter etc.) und Gefährdung durch kommerzielles Sammeln sind nicht auszuschließen
  • Nach Modellrechnungen besteht ein Risiko durch den Klimawandel (Settele et al. 2008). Aus der Geländebeobachtung ist eine Gefährdung aufgrund der Häufung von Witterungsextremen denkbar, der allgemeine Trend der Erwärmung dürfte der Art dagegen zu Gute kommen, wenn dadurch keine schädliche Erniedrigung der Luftfeuchte entsteht. Es sind jedoch keine gezielten Untersuchungen zu diesem Thema erfolgt

Erhaltungsmaßnahmen

Handlungsempfehlungen zur Erhaltung der lokalen Population des Moor-Wiesenvögelchens

Um Beeinträchtigungen durch die Bewirtschaftung zu verhindern bzw. zu minimieren, werden folgende Maßnahmen empfohlen:

Landwirtschaft

  • Eine echte landwirtschaftliche Nutzung kann auf den verbliebenen kleinen Flächen nicht stattfinden. Alle Aktivitäten sind eher einer Naturschutz-Pflege zuzuordnen (vgl. sonstige Maßnahmen)

Forstwirtschaft

  • Eine Öffnung potenziell geeigneter Standorte durch Entnahme größerer Gehölze und Freipflegen mit Forstmulchern erscheint möglich, ist aber am einzigen aktuellen Vorkommen nicht relevant

Sonstige Maßnahmen

  • Eine Mahd wird insbesondere wegen der Vereinheitlichung des Aufbaus der Pflanzendecke als problematisch angesehen. Wenn überhaupt, sollte sie nur auf kleinen Teilflächen und im Winterhalbjahr durchgeführt werden. Bei Mahd vor dem überwiegenden Rückzug der Jungraupen ins Winterquartier, der erst im Laufe des Oktobers erfolgt, sind direkte Verluste der meist im oberen Drittel der Wirtspflanzen-Blätter sitzenden Raupen zu befürchten. Hinzu kommt der Nahrungsentzug bei Mahd, da die Raupen z.T. offenbar noch bis weit in den Herbst hinein fressen müssen
  • Auf den offenbar stabilen Altbrachen mit gehölzfeindlicher Pflanzendecke ist derzeit keine Entbuschung empfehlenswert, um Bodenöffnungen (bei Entbuschung) und verstärkte Etablierung von Gehölzkeimlingen bzw. Gehölzverdichtung durch Stockausschlag (nach Rückschnitt) zu vermeiden. In Lebensraumbereichen mit Verbuschungsdruck ist eine Gehölzkontrolle hingegen essentiell
  • Wichtig ist zu beachten, dass randliche Hochstauden und Gehölze eine Schutzfunktion für die wenig flugstarke Art übernehmen. Sie verhindern, dass die Falter durch den Wind aus dem Lebensraum verdriftet werden
  • Die angestammten Lebensräume neigen nur zu lockerer Verschilfung in Teilbereichen, während potenzielle Erweiterungsflächen starke Verschilfungstendenzen zeigen. Einer Verschilfung der zur Lebensraumerweiterung entwickelten Flächen ist durch Hochmahd im Juni zu begegnen, am besten während des ersten Teils der Flugperiode (um Raupenverluste zu vermeiden und die Bestände für eiablagebereite Weibchen rechtzeitig „aufzumähen“; die Falter können ausweichen). Die Hochmahd ist erforderlichenfalls im Herbst zu wiederholen, jedoch wie im Juni ohne die Hauptschicht der Pflanzendecke einer Mahd zu unterziehen, damit es zur Anreicherung von Streu kommt
  • Manuelle Bekämpfung der Gebüschentwicklung (alle 2-3 Jahre) wird als ausreichend angesehen, v.a. Faulbaum ist am Standort eine „Problemart“. Das Schnittgut ist zu entfernen, die Lebensraumfläche mit Verbuschungsgefahr sollte im Zentralbereich weitgehend von Gehölzen befreit werden, um eine uneingeschränkte Besonnung zu ermöglichen. Hierbei ist darauf zu achten, dass keine Rohbodenstellen entstehen, um die dann mögliche Etablierung weiterer Gehölze zu vermeiden
  • Eine alternative Pflege durch Ziegen (Verbiss der Gehölze) ist grundsätzlich denkbar, aber nicht erprobt und bislang nicht als traditionelle Nutzung von Lebensräumen bekannt. Sie könnte daher versuchsweise auf derzeit nicht besiedelten Flächen zur Lebensraumwiederherstellung erprobt werden
  • Da aktuell nur noch ein Vorkommen mit drei eng benachbarten Teilpopulationen besteht, ist eine Wiederansiedlung in Abstimmung mit den Naturschutzbehörden an potenziell geeigneten Standorten auch zur Risikostreuung wichtig
  • Striktes Sammelverbot, bei Bedarf entsprechende Kontrollen

Erhaltungszustand

  • Kontinentale Region: ungünstig - schlecht

Programme und Projekte

Finanzierungsinstrumente für Maßnahmen und Umsetzung von Managementplänen

  • Internetseite des BfN zu Finanzierungsoptionen von Maßnahmen im Rahmen der FFH- und Vogelschutzrichtlinie
  • Finanzierungsinstrument der EU zur Förderung von Umwelt- und Naturschutz-Projekten in Europa, LIFE+

Projekte im Internet

  • Bundesarbeitsgruppe Schmetterlinge

Autor*in

Kontaktinformationen für weitere Auskünfte und Hilfestellungen

Für weitere Hinweise zur Art und Hilfestellungen für die Bewirtschaftung der Lebensräume wenden Sie sich bitte an die für Sie zuständige Naturschutzbehörde in Ihrer Region.

Experten

Dr. Matthias Dolek
Obere Dorfstr. 16
82237 Wörthsee

Markus Bräu
Amperstr. 13
80638 München

Autoren

Matthias Dolek und Markus Bräu

Unter Mitarbeit von

Christian Anton, Burkhard Beinlich, Markus Bräu, Stefan Brunzel, Adi Geyer, Stefan Hafner, Kathrin Landsdorfer, Andreas Lange, Erwin Rennwald, Matthias Simon, Karola Szeder, Rainer Ulrich, Volker Wachlin, Thomas Widdig

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