Epidalea calamita - Kreuzkröte
Beschreibung
Klein und flink wie eine Maus
Die erste Begegnung mit einer Kreuzkröte ist immer außergewöhnlich: Ihr flinkes Krabbeln über den Boden erinnert mehr an eine Maus als an einen Frosch. Leider wird man nicht mehr häufig Zeuge dieses Anblicks, denn ihr natürlicher Lebensraum im Überschwemmungsbereich natürlicher oder naturnaher Flussauen ist weitgehend verschwunden. Zum Glück konnte die Kreuzkröte als Kulturfolger auf vom Menschen geschaffene, trocken-warme, offene Lebensräume (z.B. Sand- und Kiesgruben) ausweichen. Aber auch dort stehen oft die Wiederverfüllung oder nach Nutzungsaufgabe die schnelle Rückeroberung der bewuchsfreien Flächen durch Gräser, Kräuter und Gehölze der Erhaltung günstiger Lebensbedingungen entgegen.
Als Laichgewässer nutzt unsere kleinste einheimische Kröte zumeist unbewachsene und voll besonnte Pfützen, Fahrspuren und andere nur zeitweilig wasserführende Tümpel.
Lebensraum
Die in Folge von Hochwässern einer ständigen Veränderung unterworfenen Auen natürlicher oder naturnaher Flüsse sind die ursprünglichen Lebensräume der Kreuzkröte. Gekennzeichnet sind ihre Lebensstätten durch das völlige oder weitgehende Fehlen von Pflanzenbewuchs und durch das Vorhandensein flacher, meist nur zeitweise wasserführender Kleingewässer. Ähnliche Lebensbedingungen bieten in der heutigen Kulturlandschaft Abgrabungsflächen sowie militärische Übungsflächen und im Siedlungsbereich Industriebrachen sowie Bergehalden. Für das Überleben der Pionierart Kreuzkröte sind diese vom Menschen geschaffenen Lebensräume in Deutschland von größter Bedeutung.
Fortpflanzung/Biologie
Ökologie der Art
Die Kreuzkröte besiedelt offene Lebensräume auf trockenem, oft sandigem Untergrund. Sie benötigt als Larvalgewässer flache, sich schnell erwärmende Wasserstellen (max. bis 40°C), die idealerweise frei von pflanzlichem Bewuchs sind und zeitweilig austrocknen (Regenwassertümpel). Nur solche Gewässer bieten die für das Überleben der Larven notwendige Gewähr, dass sie frei von Fressfeinden sind. Diese Bedingungen fand die Art in der Naturlandschaft im Überschwemmungsbereich unverbauter Flüsse und Gewässeroberläufe, in denen durch die natürliche Dynamik ständig neue Klein- und Kleinstgewässer entstanden. Da naturnahe oder natürliche Fließgewässer in Deutschland heutzutage fast vollständig verschwunden sind, ist die Kreuzkröte in vom Menschen geschaffene, offene und wärmebegünstigte Lebensräume ausgewichen. Beispiele hierfür sind Sand-, Kies- und Tongruben, Steinbrüche, Bergbaufolgelandschaften, militärische Übungsplätze, Industriebrachen, Bergehalden oder auch Äcker, auf denen sich zeitweilig wasserführende Klein(st)gewässer wie Pfützen (z.B. in Fahrspuren) oder Lachen befinden, die als Laichplatz dienen. Auch in den norddeutschen Dünenlandschaften findet die Kröte geeignete Lebensräume. Für die Eiablage sucht sie gezielt Gewässer auf, die neu entstanden oder sich frisch mit Wasser gefüllt haben und praktisch frei von jeglichem Pflanzenbewuchs sind (Günther & Meyer 1996, Sinsch 1998).
Da die Lebensräume der Kreuzkröte durch ein trocken-warmes Kleinklima gekennzeichnet sind, sind die Tiere zum Schutz vor Austrocknung auf das Vorkommen geeigneter Tagesverstecke im Gewässerumfeld angewiesen. Die Kreuzkröte nutzt Tierbaue, Erd- und Gesteinsspalten, Steine, Holzstapel oder gräbt sich, soweit es die Bodenverhältnisse zulassen, selbst ein Versteck. Als Winterquartier kommen die gleichen Verstecke in Frage, soweit sie Frostfreiheit gewährleisten. Sinsch (1989) ermittelte, dass sich selbstgegrabene Winterquartiere in Tiefen zwischen 20 bis 80 cm befinden können. Es wurden aber auch schon Eingrabtiefen von 120 bis 180 cm festgestellt.
Die Lebenserwartung beträgt im Mittel 5, bestenfalls auch bis zu 12 Jahre (Günther & Meyer 1996). Die Geschlechtsreife erreichen die Tiere nach dem 2. Winter.
Beschreibung des Lebenszyklus im Zusammenhang mit Landnutzungsaktivitäten
Ab Anfang April verlassen die Kreuzkröten ihre Winterquartiere und suchen geeignete Laichgewässer auf. Im Unterschied zu vielen anderen Amphibien besteht bei dieser Pionierart keine engere Bindung an das eigene Geburtsgewässer, es werden auch spontan neue Lebensräume besiedelt. Die Laichperiode kann sich bis Anfang August erstrecken. In dieser Zeit kommen die Weibchen ein- oder zweimal zum Ablaichen ans Gewässer. Die Männchen können sich mehrere Wochen an diesen aufhalten.
Die schnarrenden Rufe der Männchen, die zum Anlocken der Weibchen dienen, sind bis in eine Entfernung von über einem Kilometer zu vernehmen (Günther & Meyer 1996). Der Zeitraum, in dem die Tiere den Ortswechsel von den Winterquartieren zu den Laichgewässern durchführen, fällt mit den Frühjahrsarbeiten in der Feldflur und der Feldbestellung (späte Feldfrüchte wie Mais) zusammen.
Die Entwicklung der Larven erfolgt meist im Wettlauf mit dem Austrocknen des Gewässers. Bei den hohen Wassertemperaturen wachsen die Kaulquappen schneller als bei anderen Arten und können u.U. bereits nach 4 Wochen das Gewässer verlassen. Gleichwohl kann es in diesem Lebensabschnitt zu sehr hohen Verlusten (> 95 %) kommen. Während der Zeit des Landgangs vollzieht sich ein allmählicher Übergang von der bisherigen Tag- zur überwiegenden Nachtaktivität.
Kreuzkröten sind ausgesprochen mobile Amphibien. Sie bewegen sich nicht hüpfend fort, wie für Frösche und Kröten üblich, sondern können mausähnlich schnell und flink laufen. Jungtiere legen große Distanzen von 1 bis 3 km, maximal 5 km zurück, um neue Lebensräume zu erschließen. In einer Nacht wurden Wanderstrecken von bis zu 300 m festgestellt. Diese Ausbreitungswanderungen fallen in einen Zeitraum, in dem Feldfrüchte geerntet und Vielschnittwiesen ein drittes- oder viertes Mal gemäht werden. Weiterhin werden die abgeernteten Äcker für die Bestellung mit Wintergetreide oder Zwischenfrüchten vorbereitet. Von diesen Tätigkeiten können die Tiere direkt oder indirekt betroffen werden.
Trotz der für Amphibien hohen Mobilität sind die meisten Tiere ausgesprochen ortstreu und verbleiben im Nahbereich der Gewässer. Die frostfreien Winterquartiere werden im Herbst aufgesucht.
Lokale Population
Abgrenzung der lokalen Population
Die Kreuzkröte gilt im Allgemeinen als relativ mobil, wobei die Mehrzahl der Tiere in einem engen Radius um die Gewässer verbleibt (95 % innerhalb von 700 m, nach Miaud et al. 2000). Sinsch (1988) ermittelte bei einer rheinländischen Population einen maximalen Abstand von 240 m vom Gewässer. Auch die Gesamtwanderleistung pro Saison ist mit 3,5 bis 4 km überschaubar.
Langfristig überlebensfähige Vorkommen der Kreuzkröte bestehen i.d.R. aus mehreren Teilvorkommen, die räumlich voneinander abgrenzbar sind und einer unterschiedlichen Dynamik unterliegen (Sinsch 1998). Kennzeichnend für diese lokalen Populationen ist, dass immer wieder lokale Aussterbeereignisse erfolgen können, die langfristig durch Wiederbesiedlung mittels Einwanderung von Tieren aus benachbarten Lebensräumen (Rekolonisierung) ausgeglichen werden. Dabei kommt auch den aktuell unbesiedelten, aber prinzipiell geeigneten Lebensräumen eine wichtige Rolle zu.
Von einer unzureichenden Vernetzung und somit von getrennten lokalen Populationen ist nach Expertenmeinung dann auszugehen, wenn der Gewässerverbund einer intakten lokalen Population mehr als 3.000 m vom nächsten Vorkommen entfernt liegt. Auch Schmidt (2006) gibt Entfernungen zwischen 1.000 und 3.000 m als gute Vernetzung zwischen Vorkommen an. Bei kleinen lokalen Populationen ist bereits ab 500 m nach Einschätzung der Autoren eine ungenügende Vernetzung getrennter Rufergemeinschafen anzunehmen.
Gefährdung
Gefährdungsursachen
Gefährdet ist die Kreuzkröte durch das Verschwinden ihrer natürlichen und naturnahen Lebensräume, den dynamischen, sandig-kiesigen Flussauen. In den heute hauptsächlich besiedelten Ausweichlebensräumen, in Abbaustellen oder auf Industriebrachen, stellen die fehlende Dynamik und/oder die Umnutzung (Rekultivierung) der Flächen nach Nutzungseinstellung die Hauptgefährdungsursachen dar.
Land- und Forstwirtschaft
Folgende Maßnahmen der Land- und Forstwirtschaft können sich ungünstig auf Vorkommen der Kreuzkröte auswirken:
- Trockenlegung in Feuchtgebieten und Verfüllung von Geländemulden
- Ausweitung landwirtschaftlicher Flächen (besonders Umbruch von Stilllegungsflächen/Brachen) und Änderung der landwirtschaftlichen Nutzung (z.B. Aufgabe von Weideflächen mit geringer Besatzdichte)
- Nächtliche Feldbestellung in der Landwirtschaft führt bei ausgewachsenen Kreuzkröten zu erhöhter Sterblichkeitsrate
Sonstige
- Verlust der Gewässerdynamik und damit verbundener Verlust von Kleinstgewässern als Laichplatz durch Fließgewässerkorrekturen
- Küstenschutzmaßnahmen und Trockenlegung in Feuchtgebieten
- Hauptgefährdungsursachen in den Abbaugebieten bzw. urban-industriellen Lebensräumen (Industriebrachen, Bergehalden etc.) als bedeutende, vom Menschen geschaffene Ersatzlebensräume:
- Die Rekultivierung (Verfüllung, Aufforstung) stillgelegter Flächen
- Die fortschreitende natürliche Entwicklung nach Nutzungsaufgabe (z.B. Verlandung und fehlende Kleingewässerdynamik, zunehmende Beschattung durch Gehölzaufwuchs)
- Die Art und Weise des Abbauvorgangs (keine Kleinabgrabungen, Zunahme der Abbaugeschwindigkeit, Tiefabbau bzw. Nassbaggerung)
- Nutzung größerer Abbaugewässer mit Flachzonen als Angel- oder Badegewässer
- Zerschneidung der besiedelten und potenziellen Lebensräume (z.B. durch Straßen, Bau- und Gewerbegebiete)
- Grundwasserabsenkung (besonders im Küstenbereich)
- Freizeitnutzung, z.B. durch Motocross, in Abgrabungen und auf Industriebrachen
- Klimaveränderung: So können in Schleswig-Holstein geringere Niederschläge im Sommerhalbjahr ein späteres Ablaichen der Kreuzkröten bewirken – eine vollständige Entwicklung der Larven kann dann häufig nicht mehr erfolgen, da die zunehmend häufigeren Trockenperioden im Frühsommer andererseits zum frühzeitigen Austrocknen der Larvalgewässer führen.
- Umnutzung von nicht mehr genutzten Schienen- und Bahntrassen (z.B. zu Radwegen)
Erhaltungszustand
- Atlantische Region: ungünstig - schlecht
- Kontinentale Region: ungünstig - schlecht
Handlungsempfehlung
Handlungsempfehlungen zur Erhaltung der lokalen Population der Kreuzkröte
Nutzungsbedingte Beeinträchtigungen gehen bei der Offenlandart Kreuzkröte von der Landwirtschaft aus. Darüber hinaus fehlt in der Regel die lebensnotwendige Kleingewässerdynamik, die immer wieder neue Pionierstandorte als Larvalgewässer bereitstellt. Um die Beeinträchtigungen durch Bewirtschaftung zu verhindern bzw. zu minimieren, werden folgende Maßnahmen empfohlen:
Landwirtschaft
- Beweidung (kurzrasig) mit Rindern, Pferden oder Schafen ohne Düngung und ohne Weidepflege (z.B. Walzen oder Schleppen)
- Einstellung der Entwässerung zur Sicherung der Larvalgewässer (Kleinstgewässer)
- Förderung von Schwarzbrachen
- Rotationsbrachen auf Sandböden
- Zulassen von kurzweilig wasserführenden Klein- und Kleinstgewässern auf landwirtschaftlichen Flächen mit Pufferstreifen (Ackersenken etc.)
- Erhaltung und Schaffung eines Geländereliefs (z.B. Geländesenken auf Acker- und Grünlandflächen)
- Erhaltung und Schaffung von kleinflächigen Rohbodenstellen
- Erhöhung des Anteils an Kleinstrukturen in Agrarlandschaften durch Erhaltung/Schaffung von Lesestein- oder südexponierten Erdhaufen und Belassen von Totholz als Tagesversteck
- Erhaltung und Förderung von Ruderal- und Brachlandflächen, Magerlebensräumen, Randstreifen entlang von landwirtschaftlichen Wegen, auf extensiv genutzten oder bewirtschafteten Flächen (z.B. Ackerrandstreifenprogramme) als linienhafte räumlich-funktionale Lebensraumverbundelemente
Sonstige Maßnahmen
- Erhaltung oder Wiederherstellung der natürlichen Fließgewässerdynamik in Auenbereichen
- Unterbinden der fortschreitenden Verbuschung, Verlandung etc. in Ersatzlebensräumen (Abbaustellen etc.) durch geeignete Maßnahmen (rotierendes Gewässermanagement)
- Erhaltung und Schaffung eines Laichgewässer-Netzes und geeigneter Pionierstandorte als Landlebensraum in Abbaugebieten (zeitlich befristete Sicherung auch durch Absprachen mit dem Abbauunternehmen während des Abbaus)
- Verzicht auf Verfüllung von Abgrabungsgewässern mit Vorkommen der Kreuzkröte
- Verzicht auf Aufforstungen von Abgrabungen bei gleichzeitiger Offenhaltung der Klein- und Kleinstgewässer
- Lenkung der Freizeitnutzung in Abbaugebieten oder sonstigem „Ödland“, um Bestandsstörungen oder Tötung von Individuen zu vermeiden
- Vermeidung der weiteren Zerschneidung besiedelter oder potenziell geeigneter Gebiete durch Straßenneu- oder -ausbau, Schienenbau o.ä.