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Bundesamt für Naturschutz

Myosotis rehsteineri - Bodensee-Vergissmeinnicht

Geschützt nach
Anhang II FFH-Richtlinie
Anhang IV FFH-Richtlinie
EU-Code
1670
Artengruppierung
Farn- und Blütenpflanzen
Synonyme
Myosotis caespitosa var. grandiflora, Myosotis palustris var. caespititia, Myosotis palustris var. glareosa, Myosotis caespititia, Myosotis scorpioides subsp. caespititia
Status Rote Liste Deutschland
(Metzing et al. 2018): 1 (Vom Aussterben bedroht)
Status Rote Liste Europa
(Bilz et al. 2011): EN (Stark gefährdet)
Verantwortlichkeit
(Metzing et al. 2018): In besonders hohem Maße verantwortlich

Beschreibung

Das blaue Band vom Bodensee

Nach der Eiszeit färbten im Frühjahr lange Bänder des Bodensee-Vergissmeinnichts die Uferbereiche der Gletscherseen am Fuß der Alpen himmelblau. Überreste dieser vergangenen Pracht findet man nur noch vereinzelt an den Kiesstränden an Bodensee und Starnberger See. Die kleinwüchsigen Pflanzen sind gut an die extremen Bedingungen der Überschwemmungszone angepasst und ertragen sogar eine mehrmonatige Überflutung. Die zunehmende Freizeitnutzung und die sich durch den Klimawandel ändernde Wasserstandsdynamik stellen eine große Bedrohung für das Bodensee-Vergissmeinnicht dar. Es gilt mittlerweile in Deutschland als vom Aussterben bedroht.

Lebensraum

Der Lebensraum des Bodensee-Vergissmeinnichts sind die wenig bewachsenen, kiesigen Uferbereiche von Voralpenseen. Zusammen mit anderen kleinwüchsigen Pflanzen, wie dem Strandling (Littorella uniflora), der Bodensee-Schmiele (Deschampsia littoralis) und dem Ufer-Hahnenfuß (Ranunculus reptans), bilden sie die sogenannte Strandschmielen-Gesellschaft. Die von ihnen besiedelten Strandrasen liegen meist nur in den Winter- und Frühjahrsmonaten bis Ende April über dem Wasserspiegel. In der restlichen Zeit (bis September) wachsen die Pflanzen untergetaucht und ertragen mehrmonatige Überflutung.

Fortpflanzung/Biologie

Ökologie der Art

Das Bodensee-Vergissmeinnicht wächst ausschließlich im Überschwemmungsbereich röhrichtfreier Kiesufer von Voralpenseen. Dort kann es nur überleben, wenn die natürliche Dynamik der Seen durch regelmäßiges Überfluten und Trockenfallen verhindert, dass höherwüchsige Pflanzen in die Uferbereiche eindringen und das Bodensee-Vergissmeinnicht verdrängen. Durch seinen niedrigen Wuchs, die zahlreichen kurzen Ausläufer und den kräftigen Wurzelspross ist es gut an die mechanischen Belastungen in der Brandungszone (Wellenschlag) angepasst und kann die mit Einsetzen des Frühlingshochwassers oft monatelang dauernden Überschwemmungen gut überstehen (Brackel 2001). In den Wintermonaten liegen die Wuchsorte in der Regel oberhalb der Wasserlinie und die Pflanzen beginnen vor dem Einsetzen der Schneeschmelze in den Alpen im zeitigen Frühjahr zu blühen. An manchen Stellen begünstigt Sickernässe das Wachstum des Bodensee-Vergissmeinnichts und quellige Wasseraustritte schützen die Art auch in Jahren mit niedrigem Sommer-Wasserstand vor Austrocknung (Zehm et al. 2008). Dauert die sommerliche Überflutung länger als 5 Monate an, sterben viele Pflanzen infolge der Bildung einer dicken Algenschicht auf ihren Blättern ab.

Beschreibung des Lebenszyklus im Zusammenhang mit Landnutzungsaktivitäten

Das Bodensee-Vergissmeinnicht ist eine eher unauffällige Pflanze und tritt hauptsächlich zur Blütezeit stärker in Erscheinung. Die Blüte erfolgt meist von April bis Mai kurz vor Beginn des durch Schneeschmelze in den Alpen einsetzenden Hochwassers (Hauke 2003). Die kräftig blau gefärbten Stieltellerblüten werden von verschiedenen Insekten bestäubt. Selten kommen sie nach dem Sommerhochwasser ein zweites Mal zur Blüte. Die Vermehrung der Pflanzen erfolgt allerdings meist vegetativ mithilfe kurzer Ausläufer, da sie infolge der jahreszeitlich bedingten Überflutung über einen langen Zeitraum unter Wasser stehen. Einer Neubesiedelung geeigneter Standorte werden dadurch enge Grenzen gesetzt (Brackel 2001) und viele Wuchsorte können nur dann wiederbesiedelt werden, wenn Samenvorräte im Boden existieren. Gehen die jährlichen Überflutungen der Strandrasen über einen Zeitraum von fünf Monaten hinaus, kann die Vermehrung über Samen wie auch über Ausläufer stark einschränkt sein und die Pflanzen bis zum Absterben geschädigt werden. Erfolgt die Samenproduktion noch vor dem Anstieg des Wasserpegels, werden reife Samen ausgestreut und durch die einsetzende Überflutung weiter verteilt. 

Winterliche Trockenheit übersteht das Bodensee-Vergissmeinnicht an seinen Wuchsorten zwar relativ gut, es reagiert aber empfindlich auf ausgeprägte Trockenheit im Sommer. Bleiben sommerliche Überflutungen aus, können verstärkt konkurrenzstärkere Pflanzen einwandern und die kleinwüchsige Art verdrängen (Zehm et al. 2008). Allerdings führten am westlichen Bodensee die niedrigen Wasserstände seit 2003 (zumindest mittelfristig) zu einer deutlichen Vermehrung und zu Neuansiedlungen des Bodensee-Vergissmeinnichts. Die Zunahme der Bestände erfolgte vor allem an seewärts gelegenen Stellen, die früher aufgrund ihrer langen Überschwemmungsdauer nicht für Strandrasen-Arten geeignet waren (Peintinger et al. 2010).

Der Lebenszyklus des Bodensee-Vergissmeinnichts bleibt auf den kiesigen Uferabschnitten durch Landnutzung in Form von Forst- und Landwirtschaft weitgehend unbeeinflusst. Allenfalls der Einfluss von Abwässern aus Obstbaumkulturen führt an bayerischen See-Abschnitten zu einer Nährstoffanreicherung und dadurch zu einer Verschlechterung der Wuchsort-Qualität für das Bodensee-Vergissmeinnicht.

Lokale Population

Abgrenzung der lokalen Population

Da sich die Art mit Eintreten der sommerlichen Überflutung überwiegend durch Ausläufer vermehrt und das Wachstum im nächsten Frühjahr demzufolge sehr oft wieder dort einsetzt, wo auch im Vorjahr Pflanzen standen, ist ihr Verbreitungsraum nur auf wenige Quadratmeter begrenzt (Zehm et al. 2008). Neue Lebensräume können nur dann erschlossen werden, wenn es zur Fruchtreifung kommt und die Samen über das Wasser oder durch Wasservögel an andere Uferbereiche verteilt werden können. Lokale Populationen können deshalb gemäß ihrem Vorkommen an bestimmten Seeuferabschnitten voneinander unterschieden werden. Am bayerischen Ufer sind diese Kiesstrandabschnitte durch Bebauung voneinander getrennt und dadurch eindeutig abgrenzbar.

Gefährdung

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts nehmen die Bestände des Bodensee-Vergissmeinnichts beständig ab. Land- und Forstwirtschaft spielen dabei allerdings, abgesehen von Nährstoffeinträgen aus Obstbaumkulturen an den bayerischen Uferabschnitten, keine Rolle. Katastrophale Umweltereignisse (veränderte Wasserstandsschwankungen infolge des Klimawandels) und die intensive Freizeitnutzung der Kiesstrände stellen heutzutage die größte Bedrohung dar.

Sonstige

  • Klimatische Extremereignisse, die
    • den Zeitpunkt der Schneeschmelze verändern und die einsetzende Überschwemmung der Bestände schon vor oder verstärkt während der Blütezeit stattfinden lässt (Brackel 2001)
    • zu einer langen Überflutungszeitspanne führen und zu zunehmendem Algenwachstum auf den Blättern der Pflanzen (Brackel 2001)
    • zur Verringerung der jährlichen Wasserstandsschwankungen führen [Verringerung um 38 cm in den letzten 100 Jahren (Peintinger et al. 2010)] und damit zu einer Verschmälerung des Strandrasen-Bandes
  • Infolge wasserbaulicher Maßnahmen (z.B. Kanalisierung des Rheindurchstichs) kommt es nach starken Regenfällen am bayerischen Ufer verstärkt zu Treibholzanschwemmungen, die die Pflanzen im Uferbereich zerreiben (Zehm et al. 2008)
  • Permanente Störung der Vorkommen durch Camping- und Badebetrieb (Feuerstellen, Tritt) sowie gärtnerisch genutzte Strandgrundstücke (gelegentliche Störungen können dagegen förderlich für das Wachstum der Vorkommen sein)
  • Überrieselung mit nährstoffhaltigem Wasser aus Intensiv-Obstbaumkulturen am bayerischen Ufer, was dazu führt, dass konkurrenzkräftigere Pflanzen verstärkt einwandern und die empfindliche Strandrasen-Gesellschaft überwachsen. Andererseits kommt es zur Austrocknung der Wuchsorte, wenn das nährstoffbelastete Wasser einfach abgeleitet wird
  • Die Überbauung der Uferabschnitte mit Gebäuden und Uferbefestigungen konzentriert angeschwemmtes Treibgut auf die wenigen natürlichen Uferabschnitte
  • Eine Verringerung des Wasserstandes über das ganze Jahr hinweg fördert das randliche Einwandern konkurrenzstärkerer, höherwüchsiger Arten, besonders von Schlank-Segge (Carex acuta) und teilweise auch von Schilfröhricht

Erhaltungsmaßnahmen

Handlungsempfehlungen zur Erhaltung der lokalen Population des Bodensee-Vergissmeinnichts

Nutzungsbedingte Beeinträchtigungen für das Bodensee-Vergissmeinnicht gehen allenfalls von den Intensiv-Obstbaumkulturen aus, deren einströmende, nährstoffhaltige Sickerwässer den Konkurrenzdruck für die kleinwüchsigen Pflanzen erhöhen. Letztlich ist allerdings noch nicht geklärt, ob die Vorteile dieses Sickerwassers (Verhinderung des Austrocknens) oder seine Nachteile (Förderung des Zuwachsens der Wuchsorte) für das Bodensee-Vergissmeinnicht überwiegen.

Sonstige Maßnahmen

  • Erhaltung der natürlichen Seespiegelschwankungen durch Verzicht auf Regulierungen
  • Konstruktion geeigneter Abfangvorrichtungen für Treibholz im Bereich der Zuflüsse von Rhein, Dornbirner Ach und Bregenzer Ach
  • Zeitnahe, händische und maschinelle Beseitigung des Treibguts nach Hochwasserperioden
  • Entfernen von eingewanderten konkurrenzstärkeren Pflanzen, wie Weiden, Seggen-Arten und Rohrglanzgras und damit kleinflächige Verzögerungen der Entwicklung der Pflanzenbestände (Sukzession)
  • Algenwatten vorsichtig entfernen
  • Monitoring der Populationsdynamik, um rechtzeitig Maßnahmen bei einem Rückgang der Populationsgröße ergreifen zu können (z.B. durch die Aktivierung der Bodensamenbank)
  • Aufbau und Fortführung von Erhaltungskulturen in Botanischen Gärten (Botanischer Garten Regensburg, Botanischer Garten der Universität Konstanz) bzw. Ex-situ-Vermehrung für weitere Wiederansiedlungen
  • Wasserschutzmaßnahmen weiterführen und nicht sauber geklärte Einläufe sanieren
  • Uferverbauungen und intensive menschliche Nutzung der Uferzone (z.B. für Feuerstellen) im Bereich des Strandrasens verhindern
  • Renaturierung von verbauten Ufern (siehe Renaturierungsleitfaden der IGKB bzw. Ostendorp et al. 2010)

Erhaltungszustand

  • Kontinentale Region: ungünstig - unzureichend

Programme und Projekte

Finanzierungsinstrumente für Maßnahmen und Umsetzung von Managementplänen

  • Internetseite des BfN zu Finanzierungsoptionen von Maßnahmen im Rahmen der FFH- und Vogelschutzrichtlinie
  • Internetseite der Europäischen Union zur Förderung des Umwelt- und Naturschutzes und von entsprechenden Projekten.
  • Förderwegweiser des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF) und Kulturlandschaftsprogramm (KULAP)
  • Förderwegweiser von Agrarumweltmaßnahmen (AUM) des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz (StMUV): Vertragsnaturschutzprogramm (VNP/EA). 

Projekte im Internet

  • Life-Natur-Projekt: Lebensraumsicherung für Myosotis rehsteineri in Bregenz
  • Artenschutzprojekt für Myosotis rehsteineri in Baden-Württemberg
  • Arbeitsgruppe Bodensee-Ufer

Literaturhinweise

Literaturhinweise zu Artenhilfsprogrammen

  • Brackel, W. v. (2010): Erfolgskontrolle von AHP-Maßnahmen für stark bedrohte Strandrasenarten am Bodensee und Starnberger See. - Unveröffentlichtes Gutachten im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Umwelt, Augsburg; 29 S.
  • Brackel, W. v. & Miller, I. (2008): Botanische Dauerbeobachtung der Strandrasen am Bodenseeufer bei Wasserburg (Bayern) 2008. - Unveröffentlichtes Gutachten im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Umwelt, Augsburg, 22 S.
  • Dienst, M. & Strang, I. (2002): Endemische Strandrasen-Arten des Bodensees: Deschampsia littoralisMyosotis rehsteineri und Armeria purpurea - Untersuchungen, Pflege- und Schutzmaßnahmen. - Schriftenreihe für Vegetationskunde 36: 91-97.

Autor*in

Kontaktinformationen für weitere Auskünfte und Hilfestellungen

Für weitere Hinweise zur Art und Hilfestellungen für die Bewirtschaftung der Lebensräume wenden Sie sich bitte an die für Sie zuständige Naturschutzbehörde in Ihrer Region.

Experten

Wolfgang von Brackel
IVL - Institut für Vegetationskunde und Landschaftsökologie
Georg-Eger-Str. 1b
91334 Hemhofen

Michael Dienst
Arbeitsgruppe Bodenseeufer (AGBU) e.V.
Heroséstr. 18
78467 Konstanz

Irene Strang
Arbeitsgruppe Bodenseeufer (AGBU) e.V.
Heroséstr. 18
78467 Konstanz

Autoren

Christina Meindl, Wolfgang von Brackel, Peter Poschlod

Unter Mitarbeit von

Martin Engelhardt, Burkhard Quinger, Irene Strang, Michael Dienst

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