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Bundesamt für Naturschutz

Pulsatilla patens - Finger-Küchenschelle

Geschützt nach
Anhang II FFH-Richtlinie
Anhang IV FFH-Richtlinie
EU-Code
1477
Artengruppierung
Farn- und Blütenpflanzen
Synonyme
Anemone patens L., Pulsatilla latifolia RUPR., Finger-Kuhschelle, Heide-Küchenschelle
Status Rote Liste Deutschland
(Metzing et al. 2018): 1 (Vom Aussterben bedroht)
Status Rote Liste Europa
(Bilz et al. 2011): DD (Daten ungenügend)
Verantwortlichkeit
(Metzing et al. 2018): Daten ungenügend, evtl. erhöhte Verantwortlichkeit zu vermuten

Beschreibung

Frühlingsbote aus dem fernen Osten

Ursprünglich aus den weiten Steppengebieten Sibiriens stammend, wanderte die Finger-Küchenschelle vermutlich nach der Eiszeit über Osteuropa bis nach Deutschland ein. Sie gehört zu den ersten Pflanzen, die im zeitigen Frühjahr ihre leuchtend blauvioletten Blüten aus dem vertrockneten Gras des letzten Jahres strecken und mit ihrem Pollen den Insekten als wichtige Nahrungsquelle dienen. Ein kräftiger unterirdischer Trieb macht die Finger-Küchenschelle wenig empfindlich gegenüber Mahd und Tritt. Zudem schützen sie pflanzeneigene Bitterstoffe vor Verbiss. Trotzdem sind ihre Bestandszahlen rückläufig und in Deutschland gilt sie als vom Aussterben bedroht.

Lebensraum

Auf den kiesigen, nährstoffarmen Böden der Münchner Schotterebene entwickelte sich eine charakteristische Heidelandschaft mit typischen Vertretern der Halbtrockenrasen. Hierzu gehört auch das letzte Vorkommen der Finger-Küchenschelle in Deutschland. Wie auch andere Arten der Halbtrockenrasen bevorzugt sie lichte Stellen im Pflanzenbewuchs und reagiert empfindlich auf höherwüchsige, beschattende Pflanzen, vor allem einwandernde Sträucher und Gehölze. In den offenen Bereichen der Garchinger Heide versucht man diese Konkurrenzpflanzen durch Schafbeweidung bzw. einmal jährlich stattfindende Mahd möglichst klein zu halten. Die Verringerung der Streuauflage und die Schaffung offener Bodenstellen durch diese Pflegemaßnahmen fördern die Keimung der Samen und führen so zur Verjüngung des Bestandes.

Fortpflanzung/Biologie

Ökologie der Art

Die Finger-Küchenschelle kommt in Gebieten Europas und Asiens mit sommerwarmem und relativ trockenem (kontinentalem) Klima vor (Hauke 2003). Halbtrockenrasen, Steppenrasen und lichte Kiefernwälder gehören zu den bevorzugten Lebensräumen, wobei sie vollsonnige, aber auch leicht beschattete Standorte besiedelt. Ein kräftiges unterirdisches Wurzel- und Sprosssystem ermöglicht ihr, gerade in häufig gestörten Lebensräumen, wie beweidetem oder gemähtem Grasland, zu überdauern (Wildeman & Steeves 1982). An einem kräftigen unterirdischen Trieb befinden sich erdbodennah verschiedene Arten von Knospenanlagen. Diese können sich im Frühjahr entweder zu Blüten oder Blättern entwickeln, oder aber in einem schlafenden Zustand (dormant) unter der Erde verharren. Erst wenn durch Verbiss, Mahd oder Feuer die oberirdischen Teile zerstört werden, werden die schlafenden Knospen aktiviert und beginnen auszutreiben (Uotila 1969). Dadurch entstehen zum Teil sehr große Individuen, die 20 Blüten und mehr als 50 Blätter besitzen können. Gegen Verbiss durch Kühe und Schafe ist sie zudem durch einen hohen Gehalt an Bitterstoffen geschützt. Nur bei extremer Nahrungsknappheit werden die Blüten und Knospen gelegentlich von Wildtieren, v.a. Hasen und Mäusen, verbissen. Die Pflege der Wuchsorte ist für die Finger-Küchenschelle äußerst wichtig, da sie gegenüber Beschattung sehr empfindlich reagiert und schnell ihre Blühfähigkeit einbüßt und auf Dauer sogar ganz verschwindet. Ideal sind wasserdurchlässige Standorte mit sandigem oder kiesigem Untergrund und einer geringen Roh-Humusauflage, auf denen konkurrenzstärkere Pflanzen aufgrund des geringen Nährstoffgehalts nicht wachsen können.

Beschreibung des Lebenszyklus im Zusammenhang mit Landnutzungsaktivitäten

Die Finger-Küchenschelle gehört zu den ersten Pflanzen, die im zeitigen Frühjahr zwischen März und Mitte Mai zur Blüte kommen. Diese enorm frühe Blühphase wird möglich, da im Spätsommer bzw. Herbst des vorangehenden Jahres bereits vollentwickelte Blütenknospen angelegt werden. Diese überwintern geschützt durch Deckblätter auf dem Erdboden. In diesem Stadium sind die Pflanzen gegen großflächige mechanische Störungen sehr empfindlich. Der Blüherfolg im nächsten Jahr kann jetzt beeinträchtigt werden. Feuer scheint allerdings keine negativen Auswirkungen auf die Blütenbildung zu haben (Uotila 1969). Die langgestielten Grundblätter erscheinen erst gegen Ende oder nach der Blüte. Ihre Lebenszeit ist kurz, denn im Spätsommer sterben sie bereits wieder ab und bleiben als vertrocknete Blattreste über den Winter erhalten. Die beste Zeit, um auch vegetative Individuen im Rahmen von Bestandszählungen zu erfassen, ist somit im Sommer ab Anfang Juni. Hauptbestäuber der blauvioletten Blüten sind Hummeln und Bienen der Gattung Andrena. Da die Klimabedingungen im März und Anfang April oft noch sehr kalt sind und dadurch die Insektenaktivität eingeschränkt sein kann, besitzt die Finger-Küchenschelle, wie viele Frühblüher, die Fähigkeit zur Selbstbestäubung. Ab Mitte Mai beginnt die Fruchtreife. Die einsamigen Früchte werden hauptsächlich über kurze Strecken durch den Wind ausgebreitet. Größere Entfernungen und damit neue Lebensräume können nur durch das Anheften der Früchte an das Fell von Weidetieren (im besonderen Schafe) erreicht werden. Eine Pflege der Flächen durch Schafbeweidung kann somit die Ausbreitung des Bestandes in angrenzende geeignete Flächen fördern (Röder & Kiehl 2006, Röder & Kiehl 2008). Die Keimung der Samen erfolgt direkt nach der Ausstreu oder im darauf folgenden Frühjahr, nachdem Frosteinwirkungen die Winterruhe gebrochen haben. Dabei ist ganz entscheidend, dass der Pflanzenbewuchs nicht zu dicht verfilzt und eine nicht zu starke Streuauflage vorhanden ist. Unter solchen Bedingungen findet keine Vermehrung bzw. Verjüngung der Vorkommen durch Samen statt. Vielmehr ist ein lichter Pflanzenbewuchs mit ausreichend offenen Bodenstellen anzustreben, um hohe Keimungserfolge zu erzielen. Ein gewisser Anteil an Moosen und niedrigen Pflanzen kann die empfindlichen Keimlinge vor dem Vertrocknen schützen. Insgesamt ist die Etablierungsrate eher gering. Die Finger-Küchenschelle wächst zudem sehr langsam und die Entwicklung bis hin zur ersten Blüte kann viele Jahre dauern. Bestehende Individuen sollten daher vor negativen Eingriffen bestmöglich geschützt werden, da sie unter idealen Bedingungen mehrere Jahrzehnte alt werden können.

Lokale Population

Abgrenzung der lokalen Population

Das einzige Vorkommen der Finger-Küchenschelle in Deutschland befindet sich in einem 27 ha großen Naturschutzgebiet nördlich von München. Die Garchinger Heide ist das Überbleibsel einer noch bis ins 20. Jahrhundert weithin entlang der Isar verbreiteten Heidelandschaft, die aber durch den Nutzungswandel (v.a. Umwandlung in ackerbaulich genutzte Flächen) bzw. -aufgabe (Verbuschung, Bewaldung) verloren ging. Die verbleibenden Reste versucht man durch die Wiedereinführung von Schafbeweidung zu verbinden und den Austausch von Samen und Früchten durch Wanderschäferei zu ermöglichen. Über stillgelegte Ackerrandstreifen entlang von Feldwegen sollen Heidearten wie die Finger-Küchenschelle langfristig in neue Lebensräume einwandern. Am Rande der Garchinger Heide wurden mittlerweile auch ehemalige Ackerflächen aufgekauft, wo sich nach dem Abtrag von Oberboden und der Übertragung von Mähgut aus der Garchinger Heide neue Individuen der Küchenschelle ansiedeln konnten. Ein genetischer Austausch in Form von Pollen und Samen zwischen den Teilbeständen kann ohne größere Hindernisse stattfinden. Die Individuen der Finger-Küchenschelle im Bereich der Garchinger Heide stellen somit eine einzige lokale Population dar.

Gefährdung

Derzeit befindet sich das letzte Vorkommen der Finger-Küchenschelle in Deutschland in einem intensiv durch den Heideflächenverein betreuten Naturschutzgebiet. Beeinträchtigungen durch die Landwirtschaft erfolgen i.d.R. nur noch durch den Nährstoffeintrag aus angrenzenden Wirtschaftsflächen. Früher waren Gefährdungsursachen:

  • Zerstörung der Lebensräume durch Nutzungsaufgabe oder -änderung, speziell durch die Aufgabe der Weidewirtschaft mit Schafen und Umwandlung ertragsschwacher Trockenrasen in Wald, Äcker und Bauland
  • Flächenverluste durch den Abbau von Kies
  • Mechanische Belastungen durch schweres Gerät in Waldabschnitten und unachtsames Holzrücken (Beschädigung der Blütenknospen und ganzer Pflanzen)

Sonstige

  • Direkte Störung durch Trittschäden, Pflücken und Ausgraben von ganzen Individuen durch den Menschen
  • Verbuschung von offenen Lebensräumen durch das Einwandern höherwüchsiger Sträucher und Bäume bei fehlender Pflege
  • Verfilzung des Pflanzenbewuchses durch fehlende oder ungeeignete Beweidung, Mahd sowie Feuereinwirkung
  • Verbiss der Blüten und Knospen durch Rehe und Hasen im nahrungsknappen Frühjahr

 

Erhaltungsmaßnahmen

Handlungsempfehlungen zur Erhaltung der lokalen Population der Finger-Küchenschelle

Um Beeinträchtigungen durch Bewirtschaftung zu verhindern bzw. zu minimieren, werden folgende Maßnahmen empfohlen:

Landwirtschaft

  • Reduzierung des Düngereintrags in angrenzenden Wirtschaftsflächen
  • Streifenmahd der besiedelten Flächen, wobei die Hauptwuchsorte der Finger-Küchenschelle regelmäßig gemäht werden sollten (ca. 4 mal in 5 Jahren)
  • Intensives Schwadern der Flächen im Herbst mit tiefer Einstellung des Gerätes fördert die Schaffung von Keimstellen

Sonstige Maßnahmen

  • Insgesamt sollte ein differenziertes Mahdkonzept erstellt werden, das unterschiedliche Mahdzeitpunkte von Mitte Juli bis Anfang September vorsieht
  • Renaturierung ehemaliger Heideflächen in der direkten Umgebung und Erweiterung der Magerrasenflächen, um langfristig neue Wuchsorte zu erzeugen (siehe Programme&Projekte) 
  • Gezieltes Einbringen der Samen in geeignete Wuchsbereiche zur Förderung der Ausbreitung
  • Zur Sicherung des genetischen Potentials wird die Anlage einer Erhaltungskultur (Genbank der Universität Regensburg: „Arche Bayern“ und/oder Kultivierung in Botanischen Gärten) angestrebt
  • Fachmännisches Ausbringung vorgezogener Jungpflanzen an geeigneten Standorten (zur Unterstützung der geringen Populationsgröße) und in renaturierten Magerrasenbereichen

Erhaltungszustand

  • Kontinentale Region: günstig

Programme und Projekte

Finanzierungsinstrumente für Maßnahmen und Umsetzung von Managementplänen

  • Internetseite des BfN zu Finanzierungsoptionen von Maßnahmen im Rahmen der FFH- und Vogelschutzrichtlinie.
  • Internetseite der Europäischen Union zur Förderung des Umwelt- und Naturschutzes und von entsprechenden Projekten.
  • Förderwegweiser des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF) und Kulturlandschaftsprogramm (KULAP)
  • Förderwegweiser von Agrarumweltmaßnahmen (AUM) des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz (StMUV): Vertragsnaturschutzprogramm (VNP/EA). 

Projekte im Internet

  • Kontinuierliche und jährliche Überwachung im Rahmen eines Artenhilfsprogramms des Bayerischen Landesamtes für Umwelt. Dokumentation von Bestandsveränderungen und potenzielle Gefährdungsursachen
  • E+E-Verfahren zur Heideregeneration/Magerrasenregeneration (Garchinger Heide)
  • Der Heideflächenverein stellt ein Konzept vor, wie die Heidelandschaft in Zukunft aussehen soll und wie Naturschutz, Landwirtschaft und Erholung in Einklang gebracht werden können
  • Wiederansiedelungsversuche von Pulsatilla patens

Autor*in

Kontaktinformationen für weitere Auskünfte und Hilfestellungen

Für weitere Hinweise zur Art und Hilfestellungen für die Bewirtschaftung der Lebensräume wenden Sie sich bitte an die für Sie zuständige Naturschutzbehörde in Ihrer Region.

Experten

Dr. Daniela Röder
Technische Universität München
Alte Akademie 8
85354 Freising

Autoren

Christina Meindl, Daniela Röder, Peter Poschlod

Unter Mitarbeit von

Burkhard Quinger, Martin Scheuerer

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